Öffne deine Seele (German Edition)
hinter ihn gezogen, sodass sie den Kontrollmonitor im Blick hatten. Ebenso Lehmann.
Folkmar saß ohnehin im toten Winkel und justierte seine Kontrollen, machte hin und wieder eine Eingabe auf der Tastatur, um gleich darauf aufs Neue in brütendem Schweigen zu versinken.
Sinnlos, dachte Merz. Genau wie die Bemühungen des Polizei-Technikers, der zwei Zimmer weiter saß.
Joachim Merz wusste gerade eben genug über Computerkriminalität, um sich keinen Illusionen hinzugeben.
Die Übertragung aus dem Anwesen in den Schwarzen Bergen war doppelt und dreifach gesichert. Wenn es Justus gelungen war, in dieses System einzudringen, würde er sich nicht innerhalb von ein oder zwei Stunden aufspüren lassen, bevor die Sendung zu Ende war. Und mehr Zeit hatten sie nicht.
«Hannah?» Marius blieb ganz ruhig. «Ich weiß, dass du mich hören kannst. Ich versichere dir, dass es nur in deinem Interesse ist, wenn wir beide ein Gespräch miteinander führen.»
Stille, doch …
Merz kniff die Augen zusammen.
Eine winzige Veränderung war auf dem kleinen Bildschirm zu sehen. Die Hände der Gefesselten öffneten sich langsam und schlossen sich wieder.
«Ich …»
Eine einzige Silbe, doch Merz spürte, wie eine Faust seine Kehle freigab.
«Ich … höre.»
Hannahs Stimme klang verwaschen. Unsicher, als müsste sie sich auf jedes Wort konzentrieren.
Betäubt, dachte der Anwalt. Mit Sicherheit hatte sie sich nicht freiwillig auf diesen Folterstuhl fesseln lassen.
«Sehr gut», kommentierte Marius und faltete die Hände ineinander. «Ich freue mich, liebe Hannah, dass wir nun doch die Gelegenheit bekommen, unser Gespräch fortzusetzen, das bei unserer letzten Begegnung so abrupt unterbrochen wurde.» Die Hände lösten sich voneinander und wurden auf der Tischfläche abgelegt. «Zugegeben, ich hätte mir dafür andere Umstände gewünscht.»
«Marius.»
Der Moderator zuckte leicht zusammen.
«Justus, mein Freund.» Vorwurfsvoll wandte sich Marius’ Silhouette in Richtung Kamera. «Bei allem Verständnis für dein Engagement in dieser Sache: Mein Gespräch musst du mich schon selbst führen lassen. Auf meine Weise.»
Schweigen. Sekundenlang. Nur Folkmar war zu hören, der auf seiner Tastatur Befehle eingab. Sinnlos.
«Ja, Meister.»
Ohne Modulation, aber doch irgendwie kleinlaut.
«Famos.» Die Finger falteten sich wieder ineinander. «Liebe Hannah, ich möchte mich für diese Unterbrechung entschuldigen. Du erinnerst dich sicherlich an unsere letzte Begegnung und an das, was ich dir damals gesagt habe: Meine Freunde kommen für mich an allererster Stelle. Wenn einer meiner Freunde ein Problem hat, nehme ich mir alle Zeit der Welt für ihn. Ich denke, wir dürfen davon ausgehen, dass du ganz unübersehbar ein Problem hast.»
Wieder konnte Merz beobachten, wie sich ihre Hände öffneten und schlossen.
«Was … willst du hören?» Angestrengt. Müde. Unsagbar müde.
«Was ich hören will? Meine Liebe, was glaubst du? Die Wahrheit selbstverständlich. Wenn wir nicht ehrlich zueinander sind, kann ich dir nicht helfen.» Er holte Luft. «Kannst du dir vorstellen, dass ich nachempfinden kann, wie du dich gerade fühlst?»
Schweigen. Doch es war ein sehr deutliches Schweigen.
«Das solltest du aber», erklärte Marius. «Denn die Situation, in der du dich befindest, ist eine Situation, in die fast jeder von uns irgendwann einmal kommt: Gefangen zu sein, auf die eine oder andere Weise. Sich nicht freimachen zu können von den Dingen, die uns fesseln, uns die Luft zum Atmen nehmen. Natürlich präsentiert sich das Bild in der Regel nicht in einer solchen, nun, Unmittelbarkeit wie in deinem Fall, aber ich bin mir sicher, dass viele unserer Freunde, die diese Sendung nun verfolgen, nämlich …»
Er brach ab und warf einen Blick zur Seite, zu Folkmar.
«Ja?» Der Techniker sah auf.
«Nämlich?», fragte Marius auffordernd.
«Oh.» Tippen. «Ungefähr 1,5 Millionen im Moment», erklärte Folkmar. «Auf der Basis unserer repräsentativen Beispielhaushalte. Tendenz steigend.»
«Eineinhalb Millionen, liebe Hannah. Hast du das gehört? Das dürfte ein Rekord sein. Siehst du? Du bist nicht allein.»
Die Gefesselte verzichtete auf einen Kommentar. Zweifellos eine gute Wahl.
«Was entscheidend ist, Hannah …» Marius lehnte sich ein Stück nach vorn, hielt sein Gesicht aber aus der Lichtbahn des Spots. «Viele von diesen eineinhalb Millionen Menschen werden verstehen, wie du dich fühlst. Viele von ihnen waren schon
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