Öffne deine Seele (German Edition)
einmal an dem Punkt, an dem du dich jetzt befindest. An dem Punkt, an dem sie das Gefühl hatten, dass es keinen Weg mehr gibt. Doch das stimmt nicht. Der Weg ist die ganze Zeit da. Sie können ihn nur nicht mehr sehen. Dabei müssen sie nur ihre Augen öffnen!»
«Nicht …» Hannah räusperte sich. «Nicht ganz einfach im Moment.»
«Im übertragenen Sinne», erklärte Marius geduldig. «Ihre Seele, Hannah. Wir haben uns vor zwei Tagen über eine solche Situation unterhalten. Der Punkt, an dem sich etwas in unser Leben drängt und uns in unseren Grundfesten erschüttert. Ein Mensch, habe ich zu dir gesagt. Sehr häufig ist es ein Mensch. Doch im Grunde ist das gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass uns die veränderte Situation zum Nachdenken bringt. Uns dazu zwingt, Dinge, die wir unser Leben lang für selbstverständlich gehalten haben, zu hinterfragen. Warum sind wir, wie wir sind? Haben wir uns bewusst dafür entschieden? Das ist in den seltensten Fällen so. Vielmehr handelt es sich um Verhaltensmuster, die wir in einer Zeit angenommen haben, an die wir uns kaum bewusst erinnern können. – Wie sah das als Kind bei dir zu Hause aus?»
«Verflucht.»
Merz brauchte einen Moment, um die Stimme einzuordnen.
Sie war nicht aus den Lautsprechern gekommen.
Der Sprecher saß direkt neben ihm.
Dennis starrte geradeaus. Das tat er im Grunde die ganze Zeit. Seitdem die Übertragung begonnen hatte, hatte er die Augen nicht von dem winzigen Monitor genommen.
Joachim Merz war absolut in der Lage, die Symptome eines Schocks zu erkennen, wenn er sie vor sich sah.
Erst jetzt schien sich Dennis allmählich aus der Lähmung zu befreien, in die er beim Anblick der gefesselten Hannah gesunken war.
«Verflucht», murmelte er. «Er hat ihren echten Namen genannt. Um wie viel wetten wir, dass ihre Eltern in diesem Moment vor dem Fernseher sitzen?»
Merz nickte düster.
«Als Kind?», fragte Hannah mit rauer Stimme. «Was … Was willst du jetzt hören?»
Merz glaubte zu erkennen, wie sie versuchte, den Kopf ein Stück zu heben.
«Das habe ich dir bereits erläutert, Hannah», erklärte der Moderator freundlich. «Die Wahrheit. Du bist Kriminalpolizistin. Für eine Frau ist das nach wie vor ein ungewöhnlicher Beruf. Wie bist du dazu gekommen? Denke zurück! Versuch dich zu erinnern! Wann genau ist dieser Gedanke zum ersten Mal gekommen: Ich möchte Kriminalpolizistin werden? Ich bin mir sicher, dass dieser Zeitpunkt sehr viel weiter zurückliegt, als du vielleicht im ersten Moment glaubst.»
Schweigen.
«Lass dir Zeit.» Marius legte die Hände übereinander. «Denke gründlich nach. Beweg dich zurück – zurück in der Zeit.»
Schwere Atemzüge.
Der Anwalt konnte auf dem Bildschirm kein Mikrophon erkennen. Wahrscheinlich war es irgendwo an der Apparatur untergebracht, an der Hannah festgeschnallt war wie auf dem elektrischen Stuhl.
«Als …» Sie holte Luft. «Als Kind …»
«Ja?»
«Wir hatten natürlich alle diese wilden Ideen, meine Freundinnen und ich. Was wir … was wir werden wollten. Schauspielerin. Maskenbildnerin. Mee… Meeresbiologin. Was man sich eben … eben so vorstellt.»
«Kriminalpolizistin?»
Ein Zögern. «Will das nicht … jedes Kind irgendwann?»
«Oh, das kommt auf das Kind an, würde ich sagen. Natürlich, Polizist steht sicherlich hoch im Kurs. Oder Astronaut. Bei den Jungen. Heute mag sich das ein wenig geändert haben, doch damals, in den achtziger Jahren? Bei den Mädchen?» Die Hände wurden angehoben, sodass sich die Fingerspitzen berührten. «Prinzessin? Wolltest du jemals Prinzessin werden?»
«Ich … Das ist kein Ausbildungsberuf, denke ich.»
«Das weißt du heute», betonte Marius. «Aber mit acht, mit sechs, mit fünf Jahren? Was war dein Vater von Beruf?»
«Mein …»
«Kein Polizist?»
«Nein, das nicht …»
Merz hob die Augenbrauen. Musste sie nachdenken, welchen Beruf ihr eigener Vater ausgeübt hatte?
«In der … Verwaltung. Bei der Bahn. Er hat Streckenpläne erstellt und … solche Sachen.»
«Verstehe.» Marius’ Hände lösten sich voneinander. Die Fingerspitzen der Rechten pochten kurz auf die Tischfläche. «Nicht eben der Stoff, aus dem Mädchenträume sind.»
«Es war ein sicherer Job! Meine Eltern hatten gebaut, und er …»
«Du musst ihn nicht verteidigen, Hannah. Ich verstehe vollkommen.»
«Ich verteidige ihn gar nicht. Ich …»
Merz drehte den Kopf zur Seite und beobachtete Dennis.
Hannahs Ehemann schob den
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