Öffne deine Seele (German Edition)
brach die Mutter ab und saß einen Moment lang kerzengerade, bevor sie zu weinen begann wie von Krämpfen geschüttelt.
Die Ferienwirtin warf mir einen beinahe flehenden Blick zu.
Ich holte Atem. «Danke», sagte ich leise. «Das war alles. Frau Vedder, es tut mir furchtbar leid.»
Ich glaubte nicht, dass sie meine Worte wirklich hörte.
Ich stand auf.
Udo Tietgen, mein uniformierter Kollege, war in der Tür stehen geblieben.
Das war gängige Praxis, wenn das PK nur einen einzelnen Beamten abstellte: Falls die Angehörigen etwas Tatrelevantes zu sagen haben, hatte ich einen zusätzlichen Zeugen.
Hatte die Mutter etwas Relevantes gesagt?
Jasmin hatte Marius verraten, wo sie in der folgenden Woche zu finden sein würde.
In der Woche, in der sie gestorben war.
Sie hatte es Marius verraten – und ein paar zig- oder hunderttausend Menschen, die gerade Kanal Sieben eingeschaltet hatten.
Aber der Ferienhof war voll mit Kindern. Wie hätte ein Täter wissen sollen, um welches Mädchen es sich handelte?
Ich biss mir auf die Unterlippe. Das war mit Sicherheit zu bewerkstelligen. Zufällige Gespräche, scheinbar harmlose Fragen.
Das war nicht der entscheidende Punkt.
Der sah anders aus.
Glaubte ich selbst an meine irrsinnige Theorie? Und wenn ich an sie glaubte: Wie wollte ich sie beweisen in einem Fall, auf den ich gar nicht angesetzt war?
***
Noch immer fast eine Stunde.
Der Hauptkommissar hatte mehrfach versucht, Elisabeth Sieverstedt in der Villa in Blankenese zu erreichen, doch das Hauspersonal hatte ihm lediglich sagen können, dass sie weggefahren sei und zu keinem festen Zeitpunkt zurückerwartet werde.
Albrecht fluchte im Stillen. Unter allen Umständen wollte er Elisabeth vorwarnen. Doch selbst wenn das nicht gelang …
Nein, seine Entscheidung war gefallen, und er hegte keinen Zweifel, wohin der Mechanismus, den er heute anstoßen würde, am Ende führen würde: Dies war sein letzter Nachmittag in seinem Büro.
Er war bereits im Begriff gewesen, seinen Schreibtisch auszuräumen, als ihm bewusst wurde, dass er ihn noch gar nicht wieder eingeräumt hatte.
Ein zögerndes Klopfen an der Tür.
Faber, dachte er. Die Informationen über Marius, um die er gebeten hatte.
Faber, auf den nun nach menschlichem Ermessen die Leitung der Dienststelle zukam, was der Mann selbstredend noch nicht ahnen konnte. Dass Albrecht Hannah Friedrichs vom Sieverstedt-Fall abgezogen hatte – wenn auch aus völlig anderen Gründen –, würde jedenfalls nicht ohne Folgen bleiben.
«Bitte», sagte er. «Herein.»
«Hauptkommissar? Ich wollte Ihnen nur eben …»
«Natürlich.» Albrecht stand auf. «Bitte, kommen Sie doch rein, Max!»
Faber hob die Augenbrauen.
Albrecht hatte den Eindruck, dass nicht viel fehlte, und der Mann hätte sich über die Schulter umgeschaut, ob noch irgendein anderer Max hinter ihm stand, dem die Aufforderung seines Vorgesetzten gelten konnte.
«Bitte.» Albrecht wies auf den Besucherstuhl. «Setzen Sie sich doch.»
Faber nahm Platz, auf der vordersten Stuhlkante.
Hab ich was angestellt?
Er sagte es nicht laut, aber der Blick war deutlich genug.
Albrecht biss die Zähne zusammen. Kriminaloberkommissar Max Faber gehörte seit mehr als zwölf Jahren zu seinem Team, und er hatte niemals irgendwelche Ambitionen gezeigt, mehr zu sein als die ewige Nummer zwei, drei oder vier: hinter Albrecht, neben Hannah Friedrichs und Matthiesen, denen er jeweils mehrere Dienstjahre voraushatte.
«Eine schwierige Situation», bemerkte der Hauptkommissar.
«Bitte?» Fabers Augenbrauen hoben sich bis zu einer Stelle, an der sich bei einem Menschen, der noch Haare hatte, der Haaransatz befunden hätte.
«Unsere Ermittlung», erklärte Albrecht. «Die Lobotomie ist eine zusätzliche Spur, doch dem Täter bringt sie uns erst einmal keinen Schritt näher. Die Sendung kann jeder verfolgt haben, und nach Eulers Worten sind entsprechende Operationen in den Vereinigten Staaten fast durchweg von halben Laien ausgeführt worden. Was denken Sie? Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden an meiner Stelle diese Ermittlung leiten. Was wäre Ihr Gedanke?»
«Oh.» Faber hatte einen Schnellhefter dabei und machte Anstalten, ihn auf Albrechts Schreibtisch abzulegen, überlegte es sich dann aber anders und drapierte ihn auf den Knien. «Nun, wie ich schon sagte: Ich finde es auffällig, dass Falks Fotoausrüstung verschwunden ist, nachdem er ja im zweiten Gespräch mit Marius betont hatte, dass das seine Methode
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