Öffne deine Seele (German Edition)
aus Isolde Lorentz wurde …
Auf jeden Fall würde es verdient kommen.
Der einzige Weg, dachte er. Die Wahrheit.
Noch mehr als eineinhalb Stunden.
Sie würden nicht schnell vergehen.
***
Ich bückte mich nach dem Kugelschreiber.
Ein paar Sekunden Luft.
Jasmin Vedder hatte bei Marius angerufen, kaum eine Woche vor ihrem Tod.
Es gibt irrsinnige Zufälle im Leben, die aber eben ganz genau das sind: Zufälle. Dennis und ich zum Beispiel kamen aus völlig unterschiedlichen Ecken von Hamburg. In den Achtzigern aber waren wir mit unseren Schulklassen in genau derselben Woche in ein und demselben Schullandheim auf Amrum gewesen: er mit der neunten, ich mit der fünften Klasse. Und keiner von uns hatte ahnen können, dass da gerade ganz in der Nähe der zukünftige Mann oder die zukünftige Frau fürs Leben herumlief. Zumindest hoffte ich nach wie vor, dass es tatsächlich fürs Leben war.
Diese Begegnung – oder Nicht-Begegnung – war genau das gewesen: ein Zufall.
Und Jasmin?
Selbstmordgedanken – genau wie bei Falk Sieverstedt. Sie hatte bei Marius angerufen – genau wie Falk Sieverstedt. Und am Ende hatte sie das getan, was Falk Sieverstedt ganz eindeutig nicht getan hatte: sich tatsächlich das Leben genommen.
So sah es aus.
Umständlich kam ich wieder hoch. «Entschuldigung», murmelte ich.
Die Mutter des Mädchens schien mich gar nicht mehr wahrzunehmen. Sie sah aus dem Fenster, wo soeben ein Golf auf den Hof bog. Wahrscheinlich die Eltern eines der anderen Ferienkinder.
«Frau Vedder?», fragte ich leise.
Keine Reaktion.
Wieder legte ihr die Ferienwirtin vorsichtig die Hand auf den Arm.
Es war unübersehbar, dass man sich seit Jahren kannte. Kein Wunder, wenn Jasmin hier auf dem Hof die einzigen glücklichen Zeiten seit dem Tod ihres Vaters verbracht hatte.
Und gerade hier sollte sie ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, worüber sie zwar jahrelang immer wieder geredet hatte, ohne es aber tatsächlich ernsthaft zu versuchen?
Red dir nichts ein, Friedrichs! Dass Selbstmordkandidaten bei Marius anrufen, passiert ständig. Dazu ist die Sendung da.
Noch vor einer Woche hättest du nicht mal richtig hingehört, wenn diese Frau die Show erwähnt hätte.
Widerwillig sah Jasmins Mutter noch einmal in meine Richtung.
«Ich habe nur noch zwei, drei kurze Fragen», sagte ich.
Dann können Sie trauern, dachte ich, sprach es aber nicht aus.
«Hatten Sie denn das Gefühl, dass Marius Ihrer Tochter helfen konnte, Frau Vedder?»
«Marius?» Sichtlich verwirrt.
«Der Mann aus dem Fernsehen.»
«Ja … Diese Show. Second Chance . Ich wollte nie, dass sie so lange aufbleibt, doch die Sendung schien sie zu interessieren, und es gab so wenig, das sie wirklich interessierte. Also habe ich ihr erlaubt …»
«Es war das erste Mal, dass sie selbst dort angerufen hat?», hakte ich ein. «Letzte Woche?»
Jasmins Mutter zögerte, doch dann, entschlossen: «Ja. Ich glaube, sie hatte ein bisschen Angst vor dem Mann. Sie war immer sehr vorsichtig, hat sich auch diese Show immer wieder angesehen, bevor sie dann selbst … Ich weiß nicht, ob Sie die Sendung kennen, aber der Mann ist doch …» Sie brach ab, schüttelte sich. «Macht das einen Unterschied? Er hat ihr nicht geholfen! Sie ist tot!»
«Ich weiß.» Ich holte Luft. «Doch selbst in diesem Fall müssen wir …»
«Der Kerl ist ein Schwein.»
Der Satz kam so abrupt, dass die Ferienwirtin unwillkürlich zusammenzuckte.
«Ein kleines Mädchen ruft bei ihm an, und er behandelt es wie eine … eine …» Heftig schüttelte die Mutter den Kopf, wieder und wieder. «Sie hat nur noch geweint hinterher. Er hat ihr vorgeworfen, dass sie nicht endlich ernst macht. Dass sie sich nicht schämt, dass sie …»
Ich nickte. Die typische Marius-Methode. Ganz ähnlich hatte er auch Falk angesprochen bei seinem zweiten Anruf.
Oh, dann willst du dich nur noch von mir verabschieden? Na, dann alles Gute, Felix!
«Können Sie sich erinnern, was sie ihm alles erzählt hat?», fragte ich. Wie beiläufig: «Dass sie sich auf den Reiturlaub freute, hier in Duvenstedt?»
«Was? Ja. Doch, ich glaube. Ja, doch, ich bin mir sicher. Kurz bevor er aufgelegt hat. Der Reiterhof, da kam sie mit allen Details. Wahrscheinlich, damit er sich nicht noch einbilden sollte, dass sie sich das nur aus den Fingern saugt. Ich habe mich noch gefreut, dass sie plötzlich richtig … kiebig wurde. Unsere Psychologin meinte, es wäre ein gutes Zeichen, wenn sie …»
Mitten im Satz
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