Öffne deine Seele (German Edition)
Landwirtschaft. Die Tätigkeit der Schüler …» Faber hüstelte. «Offenbar wird sie als freiwilliges soziales Jahr anerkannt. Sie lernen – offiziell Philosophie und Geistesgeschichte – und arbeiten nebenbei in der Landwirtschaft. Einige der Absolventen scheinen schon beachtlich Karriere gemacht haben. Die Frankfurter Allgemeine schrieb vor ein paar Jahren was von einer neuen, harten Charakterschmiede der Nation.»
«Fragt sich nur, was für eine Sorte Charaktere dabei herauskommt», murmelte Albrecht.
Im selben Moment waren hektische Schritte auf dem Flur zu hören. Ein Klopfen ertönte, und die Tür wurde aufgerissen, ohne eine Antwort abzuwarten.
«Nils is im Fernsehen und … Zefix! Des miasst’s eich oschaung!»
***
Udo Tietgen, mein Kollege mit dem Bullenschnauzer, hatte sich verabschiedet.
Gemeinsam mit dem anderen Beamten war er jetzt im Quartier der Ferienkinder, um letzte Fragen zu klären, vor allem aber, um die erschütterten Eltern zu beruhigen, die nach und nach eintrafen.
Ich stand neben meinem Wagen und schaute auf mein Handy.
Ein Anruf in Abwesenheit. Dennis.
Meine chaotische Ehesituation war voll und ganz in den Hintergrund geraten, doch vielleicht war es ganz gut, wenn wir uns heute Mittag mal nicht sahen, sondern erst am Abend wieder. Zu Hause.
Schon im nächsten Moment schob ich den Gedanken wieder ganz an den Rand.
Jasmin Vedder hatte mit dem Selbstmord geflirtet – genau wie Falk Sieverstedt.
Genau wie er hatte sie bei Second Chance angerufen und mit Marius darüber gesprochen.
Und nun war sie tot, genau wie er, und ihre Augäpfel trugen dieselben blutroten Male.
Es war natürlich, dass diese Male bei einer Strangulation auftraten. Ich hatte dieses Bild schon mehr als einmal gesehen.
Und doch konnten sie etwas anderes, Entscheidendes verdecken.
Wenn ich recht hatte, war meine Entdeckung der Durchbruch in unserer Ermittlung. Einer Ermittlung, von der ich heute Morgen abgezogen worden war.
Ich musste das Revier informieren.
Ich starrte auf das Handy.
Albrecht hatte mich abgeschossen.
Er hatte den Namen Joachim Merz aufgeschnappt, und das hatte ihm ausgereicht, mir eine mögliche Befangenheit zu unterstellen. Oder, nein, geschickter: Irgendjemand könnte auf die Idee kommen, mir Befangenheit zu unterstellen.
Für ihn, der sich in der Sieverstedt-Villa bewegt hatte wie bei alten Freunden, galt das offenbar nicht. Die Konsulin hatte ihn angestarrt wie ein Gespenst. Ich wollte gar nicht wissen, was für gemeinsame Leichen unser großartiger Herr und Meister und die Sippe auf dem Falkenstein im Keller hatten.
Ich wollte nur eins: Er sollte endlich akzeptieren, dass ich mich ebenso professionell verhalten konnte wie er oder jeder andere in der Abteilung.
Hätte er mit Faber dasselbe Spiel abgezogen wie mit mir? Oder mit Matthiesen? Wenn entsprechend auf der anderen Seite kein Joachim Merz gestanden hätte, sondern eine flotte Staatsanwältin?
Davon abgesehen, dass die beiden keine Chancen gehabt hätten bei einer flotten Staatsanwältin.
War es tatsächlich ein Zufall, dass gerade ich, eine Frau, aus der Ermittlung ausgesondert wurde, weil Albrecht ahnte – und noch nicht mal wusste –, dass ich mit einer Person im Bett gewesen war, die den Fall nur ganz am Rand berührte?
In den letzten zehn Jahren hatte mir Albrecht nicht die Spur eines Hinweises gegeben, dass er bei weiblichen Beamten andere Maßstäbe anlegte.
Doch bis heute Morgen hatte ich mir auch nicht vorstellen können, dass er tun würde, was er jetzt getan hatte.
Wie kam ich eigentlich auf die Idee, dass ich diesen Mann kannte?
Was wusste ich in Wahrheit über Jörg Albrecht? Nur das, was er selbst uns von sich präsentierte: der geniale Kriminalist, härter zu sich selbst als zu jedem anderen. Ein Mann, für den die Ermittlungsarbeit alles war, ein heiliger Schrein, vor dem er sogar seine Ehe und seine Familie geopfert hatte.
Vielleicht war es an der Zeit, die Wahrheit über Jörg Albrecht herauszufinden?
Die Wahrheit über den Fall.
Und die Wahrheit über mich selbst, indem ich, Hannah Friedrichs, ihm die Lösung des Falls präsentierte – gleichgültig, ob sie einem wichtigen Mandanten von Joachim Merz eine Menge Ärger einhandeln würde.
Ich biss die Zähne zusammen und ließ das Handy ganz langsam zurück in meine Handtasche gleiten.
***
Seydlbacher hastete aus dem Raum.
Albrecht war schon auf den Beinen, Faber direkt hinter ihm. Zwei Türen weiter stand der altersschwache
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