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Öffne deine Seele (German Edition)

Öffne deine Seele (German Edition)

Titel: Öffne deine Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Handschuhe bereits übergestreift, hielt aber Abstand von dem reglosen Körper.
    Das Bild, dachte Albrecht. Euler kennt mich. Er gibt mir die Chance, das Bild zu sehen, bevor es verändert wird.
    Dieses Bild war deutlich und ließ keine Zweifel offen.
    Der Konsul hatte sich einen Stuhl bis unmittelbar vor die Brüstung gezogen. Er hatte sich darauf niedergelassen, um – so vermutete Albrecht – ein letztes Mal über die Elbe zu blicken, diesen Strom, den die Schiffe der Sieverstedts jahrzehnte-, nein, jahrhundertelang befahren hatten und dem die Familie alles verdankte, was sie hatte und was sie war.
    Und was sie nun, am Ende, verloren hatte.
    Ihren Namen.
    Ich habe einen Fehler gemacht, dachte Jörg Albrecht. Ich habe einen entsetzlichen Fehler gemacht.
    Er hatte diesen Mann falsch eingeschätzt.
    Der Friedrich Sieverstedt, den Jörg Albrecht gekannt hatte, der große Egozentriker, war kein Mann der Ehre. Keiner, der sich eine kleine silberne Pistole nahm und die Sache auf diskrete Weise zu Ende brachte, wenn das Einsatzkommando mit Blaulicht in die Einfahrt bog.
    Das hatte der Konsul allerdings auch nicht getan.
    Die großkalibrige Jagdwaffe, die er wohl eher unter dem Kinn angesetzt haben musste, als sich den Lauf in den Mund zu schieben, war von Diskretion weit entfernt.
    Euler hatte allen Grund, so viel Abstand zum Leichnam zu halten. Fragmente von Friedrich Sieverstedts Schädel hatten sich über nahezu die gesamte Terrasse verteilt. Selbst an der schneeweißen Hausfassade und an den Fenstern glitzerten Partikel von Haaren, Haut, Hirnmasse.
    Wenn Albrecht jetzt darüber nachdachte: Doch, das war der Mann, den er gekannt hatte.
    Er sah Friedrich Sieverstedt vor sich, in seinen letzten Augenblicken, mit all seinem Hass, seiner Geringschätzung, seinem Herabschauen auf alle anderen Menschen.
    Wenn der Name Sieverstedt, dieser große, alte Name, ausgelöscht werden sollte – dann sollten diejenigen, die diese Sauerei beseitigen mussten, ihn zumindest mit jedem Atemzug verfluchen.
    Jörg Albrecht stand in der Tür der Terrasse und betrachtete das Bild.
    Ein Geräusch in der Ferne klang wie ein undeutliches, dumpfes Brüllen.
    Das Unwetter war da.
    ***
    Auf dem Waldweg halte ich den Nissan an, wenige Schritte vor der Schranke.
    Sie ist verschlossen.
    Ich habe nichts anderes erwartet.
    Bevor ich aussteige, taste ich über die Hüfte nach meiner Dienstwaffe, wie ich das immer wieder getan habe auf der Fahrt vom Revier hierher.
    Mir ist klar, dass mein logisches Denken irgendwann ausgesetzt hat.
    Doch dermaßen neben der Spur bin ich noch nicht, dass ich mich unbewaffnet in die Höhle des Löwen begeben werde.
    Das kannst du nicht machen!, flüstert es in meinem Kopf.
    Ach, ich kann nicht?
    Was bleibt mir denn anderes übrig? Mit ansehen, wie der Leiter meiner Dienststelle einen Privatkrieg mit den Sieverstedts vom Zaun bricht, während ich ganz genau weiß – so sicher jedenfalls, wie das möglich ist ohne eine echte forensische Untersuchung –, dass die Gründe für Falk Sieverstedts Tod ganz woanders liegen?
    Marius.
    Er wird mir helfen. Er muss.
    Aber ich muss schnell, muss sofort handeln.
    Muss handeln, bevor Marius erkennt, dass er und seine Show überhaupt nicht im Visier stehen – ausgenommen für mich .
    Ich trete an die Schranke.
    Es gibt kein Schloss, nur ein warnendes grellgelbes Schild wie an der offiziellen Zufahrt auch: Privatbesitz. Zutritt verboten.
    Die Schranke hat ein Widerlager. Es ist kein besonderer Kraftakt notwendig, um sie in die Höhe zu hieven und den Weg freizumachen.
    Natürlich muss ich einkalkulieren, dass in diesem Moment irgendwo in dem restaurierten Bauernhaus ein rotes Knöpfchen aufleuchtet und ein Alarm losgeht.
    Aber vor der Hauptzufahrt campieren die Demonstranten. Meine Chancen, ohne Vorwarnung bei Marius vor der Tür zu stehen, sind hier immer noch am größten. Ich gehe zurück zum Wagen.
    Plötzlich ertönt ein Geräusch. Ein Donnern in der Ferne.
    Das Unwetter.
    Für eine halbe Sekunde atme ich auf, dann …
    Der Himmel hat sich bezogen. Ein bleiernes Grau liegt über den Schwarzen Bergen. Es ist kurz nach fünf, aber unter den Bäumen lagert Zwielicht wie in der Abenddämmerung.
    Ein Scheinwerferpaar tastet sich die Asphaltstraße hinab auf mich zu, und ich erkenne die Form der Lichter auf der Stelle.
    Gestern, in einem Café nur wenige hundert Meter von hier, habe ich zwei Stunden lang nach ihnen Ausschau gehalten.
    Als ich in den Blick komme, wird der schwarze

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