Öffne deine Seele (German Edition)
als Fernsehguru in seinem schnuckeligen Landhaus.
Im selben Moment, in dem ihm aufging, was für richtig schlechte Presse es bedeutete, wenn irgendjemand seine Freunde abmetzelte, würden wir uns vor Hilfsangeboten gar nicht mehr retten können.
Nein, dachte ich. Nicht wir .
Jörg Albrecht und die Kollegen, die noch in dem Fall ermittelten.
Standing on a beach with a gun in my hand
Staring at the sea, staring at the sand
Ich griff nach meinem Smartphone.
Dennis.
«Hi.» Ich nahm ab.
«Hi.» Ein Räuspern.
«Du bist …»
«Du …»
Beide gleichzeitig.
«Wahrscheinlich wirklich zu spät fürs Mittagessen heute», sagte er schließlich.
Ich betrachtete mein Käsesandwich. Unappetitlicher denn je.
«Ich bin quasi schon auf dem Rückweg zum Revier», sagte ich.
Quasi , dachte ich. Ein Schlupfloch blieb offen.
«Hmmm.»
Ich hörte ihn blättern.
«Wir haben ein neues Objekt reinbekommen. Erinnerst du dich an die Maisonettewohnung in Eimsbüttel, vor zwei Jahren?»
«Ich dachte, die wärt ihr losgeworden?»
«Sind wir.» Er holte Atem.
Irgendwas war mit ihm. Er grübelte. Ich konnte es fast schon hören, sogar durchs Telefon.
«Ein älterer Herr», murmelte er. «Alleinstehend.»
«Und jetzt will er wieder verkaufen?»
«Nein.» Ein Atemzug. «Er ist tot. Seit ein oder zwei Wochen schon. Anscheinend hatte er wenig Kontakt nach draußen. So gut wie gar keinen. Jetzt bei der Hitze ist den Nachbarn ein seltsamer Geruch aufgefallen, und als deine Kollegen die Wohnung geöffnet haben …» Er brach ab.
«Mein Gott», flüsterte ich und schob das Käsesandwich endgültig beiseite.
«Kannst du dir das vorstellen?», fragte Dennis leise. «Ganz allein? Da sind zwar andere Leute; man lebt Wand an Wand. Aber trotzdem ist niemand da. Niemand zum Reden.»
Niemand zum Reden.
«Dennis …»
«Hannah …»
Es war lächerlich.
«Dennis», sagte ich. «Wir beide müssen reden. Es ist nicht so, wie du denkst. Ich habe nicht mit Marius gesprochen – nicht über uns. Es ist …» Ich sah auf die Uhr. Zurück aufs Revier musste ich auf jeden Fall noch, die Berichte tippen. Und mit Albrecht sprechen, wenn ich ihn irgendwie zu fassen kriegte.
Aber war das wirklich das Wichtigste?
Es standen Menschenleben auf dem Spiel.
Verflucht, dachte ich. Natürlich war das so. Immer.
In meinem Job genauso wie im Gesundheitswesen. Sogar im Straßenbau, wenn irgendeine neue Umgehung nicht rechtzeitig fertig wurde und der Verkehr weiter durchs Wohngebiet rollte.
Doch das kann nicht immer ein Argument sein.
Wenn das so wäre, müssten alle Menschen ständig arbeiten, Tag und Nacht, und alles andere vergessen.
Das Leben.
«Heute Abend um acht», sagte ich. «Ich bin pünktlich, versprochen. Magst du uns einen guten Wein besorgen?»
«Hmmm?»
Es war ein besonderes Hmmm . Ich musste grinsen.
«Einverstanden. Hannah?»
«Hmmm?»
«Ich liebe dich.»
«Ich …» Meine Kehle war plötzlich rau. «Ich dich auch.»
***
Nachdenklich stieg ich die Stufen zum Reviergebäude hoch.
Wenn ich recht überlegte: Genau so war es das Beste. Ich würde bei Albrecht klopfen und ihm einfach alles erzählen. Nur die schlichten Tatsachen: Jasmins Telefonat mit Marius und der ungewöhnliche Sitz der Schlinge um ihren Hals, der dieselben starken Blutungen in den Augen hervorgerufen hatte wie bei Falk Sieverstedt.
Ich kannte Jörg Albrecht. Ja, so weit kannte ich ihn nach wie vor.
Er würde auf der Stelle begreifen, was ich tat: Mit ausgestrecktem Finger würde ich auf Marius zeigen.
Das ist die Verbindung.
Und dann würde ich auf dem Absatz kehrtmachen und wieder rausmarschieren.
Und unser Herr und Meister durfte sich so klein mit Hut fühlen, dass ihm die ach so voreingenommene Hannah Friedrichs den Mandanten ihres Staranwalts auf dem Silbertablett serviert hatte.
Vielleicht würde er dann ja aufwachen.
Vielleicht auch nicht. Aber ich würde von nun an anders in den Spiegel sehen können.
Die Tür flog auf.
Ich stolperte zur Seite.
Winterfeldt kam mir entgegen, der sich ungeschickt die Dienstwaffe ins Holster stopfte. Ich konnte nur hoffen, dass das Ding gesichert war. Hinter ihm waren Faber und Werfel, einer der beiden Beamten, die uns seit zweieinhalb Jahren leihweise verstärkten.
«Aloha.» Winterfeldt strich sich die Mähne aus der Stirn. «Entschuldige! Wir haben einen Zugriff. Der Chef hat eine Spur, oder …» Ein Blick zu Faber. «Dürfen wir ihr das überhaupt sagen, wenn sie nicht mehr am Fall ist?»
Max
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