Öffne deine Seele (German Edition)
dachte Joachim Merz, ist dann wohl mein Leben.
Er trat ans Fenster.
Dunst lagerte zwischen den Häusern, über den Wiesen und der Wasserfläche.
Der Blick drang nicht bis auf den Boden.
Merz schüttelte den Kopf, holte sich einen Kaffee und griff nach dem Diktiergerät.
Er hatte die Aufnahmetaste noch nicht betätigt, als sich der Türsummer meldete.
In Wahrheit brauchte er einen Moment, bis er das Geräusch identifizieren konnte. Er war zwar unter dieser Adresse – und nicht am Elbufer – gemeldet, aber Joachim Merz war niemand, dem man ein Zeitschriftenabo verkaufte. An dieser Tür wurde nicht geklingelt.
Schon gar nicht um zwanzig nach sechs am Morgen.
Merz drückte die Taste unter dem Überwachungsbildschirm und zog die Augenbrauen in die Höhe – zwei Mal, rasch hintereinander.
Der Windfang am Zugang des Gebäudes war leer.
Die zweite Kamera jedoch, die Kamera unmittelbar vor der Wohnungstür, zeigte eine Gestalt. Der Besucher musste den Komplex betreten haben, als einer der anderen Bewohner das Gebäude gerade verließ.
Und Joachim Merz kannte dieses Gesicht. Wenn man von kennen sprechen wollte unter den damaligen Umständen.
Unschlüssig lag seine Hand auf dem Türknauf.
Nein, er hätte nicht erwartet, diesen Mann noch einmal zu Gesicht zu bekommen.
Er schlang das Duschtuch um die Hüften und öffnete.
Eine Faust explodierte in seinem Gesicht.
***
Fahles Morgenlicht sickerte durch die Fenster des Reviergebäudes, doch die Mannschaft des PK Königstraße nahm es nicht zur Kenntnis.
Die Neonleuchten an der Decke warfen ihr farbloses Licht auf die Arbeitsfläche im Zentrum des Besprechungsraums: vier Tische, die die Beamten zusammengeschoben hatten, um die Flut von sichergestellten Dokumenten, vorläufigen Berichten und Fotos aufzunehmen, die für die Ermittlung von Bedeutung sein konnten oder nicht.
Jörg Albrecht stützte sich auf eine Stuhllehne. Seine Beine fühlten sich an wie nach einem Marathonlauf, und möglicherweise hatte er sogar eine entsprechende Strecke zurückgelegt – immer rund um die Tische. Der schwarze Kaffee brannte ihm langsam, aber sicher ein Loch in die Magenwand.
Das hast du vermisst?
Augenscheinlich.
«Hauptkommissar?»
Klaus Matthiesen kam in den Raum, auf dem Arm einen neuen Stapel von Aktenordnern.
Albrecht griff zu und nahm ihm zwei Ordner ab.
«Ich dachte, wir hätten jetzt alles», brummte er. «Wo sind die wieder her?»
«Noch ein Büro.» Matthiesen setzte den Rest des Stapels ab und wischte sich den Schweiß von der blassen Stirn. «An der Tür stand der Name Retzlaff. Wir fangen gerade erst an, die Struktur der Firma wirklich zu durchschauen, mit ihren externen Büros, ihren Subunternehmen und Distributoren. Diese Unterlagen waren in einem Gebäude im Freihafen, das ausschließlich für die Transaktionen mit Südostasien genutzt wurde.»
«Kleine Mädchen?»
Matthiesen schüttelte ernst den Kopf. «Die Spurensicherung wird sich dransetzen, wie in allen Objekten, in denen wir waren, aber wenn Sie mich fragen: Das ist es nicht.»
Albrecht holte Luft und schloss die Hände zu Fäusten.
Geschäftspapiere mit Tausenden von Seiten, die selbstverständlich geprüft werden mussten. Doch wie wahrscheinlich war es, dass Sieverstedt Import/Export über diesen Zweig des Unternehmens Buch geführt hatte?
Nicht unmöglich, dachte er, wenn man der Konsul war und ein Erbsenzähler vor dem Herrn.
«Und Retzlaff selbst?», fragte er ohne viel Hoffnung.
«Immer noch verschwunden. Sein Mobiltelefon ist nach wie vor ausgeschaltet, aber wer in solche Geschäfte verwickelt ist, hat mit Sicherheit noch was anderes.»
«Mehr als zwölf Stunden», murmelte der Hauptkommissar. «Der Konsul ist tot, aber wir haben es hier mit organisiertem Verbrechen zu tun. Diese Schlange ist nicht zu töten, wenn wir ihr einen ihrer Köpfe abschlagen. Und der Rest hat jetzt mehr als zwölf Stunden Vorsprung, in denen sie alles Belastende verschwinden lassen konnten. Akten, Spuren …» Er holte Luft. «Die Kinder.»
«Jetzt hören Sie aber endlich auf!» Faber trat ins Zimmer und warf seine Jacke über die Garderobe. Er hatte sich für eine Stunde nach Hause verabschiedet: Ehefrau und Tochter lagen mit Sommergrippe im Bett. «Ehrlich, Hauptkommissar! Mehr als wir getan haben, geht nun wirklich nicht. Objekte, von denen Sie nicht wissen, dass es sie gibt, kriegen Sie auch mit einer konzertierten Aktion nicht gepackt. Und von den Kindern konnten Sie nichts wissen, bis die
Weitere Kostenlose Bücher