Öffne deine Seele (German Edition)
getönten Gläser blickten in seine Richtung.
«Nichts», murmelte er.
Sieben kleine Mädchen, dachte er, keines von ihnen älter als zwölf, die bei Nacht und Nebel von einem Sieverstedt-Schiff an Land gebracht wurden, einem ungeklärten Schicksal entgegen.
Das eine große Bild, dachte er. Das ganze Bild.
Jörg Albrecht begann zu ahnen, wie dieses Bild hätte aussehen sollen.
Doch jemand hatte verhindert, dass diese Aufnahme jemals gemacht wurde.
«Und euer Prokurist …», begann er.
«Ich weiß es nicht, Jörg. Ich weiß nicht, welche Rolle Retzlaff spielt, aber er ist so etwas wie Friedrichs rechte Hand. Wenn Retzlaff verwickelt ist … Ich kann mir nicht vorstellen, dass Friedrich dann keine Rolle spielt.»
Elisabeth hielt erneut an einer roten Ampel.
«Und wenn Friedrich damit zu tun hat, Jörg, dann sind noch andere Leute verwickelt. Namen, die jeder kennt, jeder in der Stadt. Jörg, du darfst diese Ermittlung nicht abgeben. Es geht hier nicht um Falk. Nicht nur. Es geht um etwas vollkommen anderes. Es geht um sehr viel mehr.»
***
Business as usual: der Unfallverletzte im Ohlsdorfer Klinikum. Der Einbruch mit Körperverletzung am Niendorfer Gehege.
Ich brachte die Termine hinter mich und hatte danach sogar noch Zeit für eine kleine Pause, in der ich in meiner Lieblingsbuchhandlung am Nordalbinger Weg reinschaute und mit einem Thriller von Daniel Westland wieder rauskam.
Der Titel klang wirklich spannend, aber als ich mich schließlich in einen Imbiss setzte, war mir nicht nach Lesen.
Ich steuerte einen Tisch in der hintersten Ecke an und bestellte ein Käsesandwich, einen Espresso und einen halben Liter Mineralwasser.
Die junge Bedienung, eine quirlige Blondine, stellte alles vor mich hin und grinste mir aufmunternd zu.
Sah ich so fürchterlich aus?
Ich stellte meine Handtasche auf den Nebenstuhl und kramte den Schminkspiegel raus.
Blass. Wie eine Leiche. Eine Haarsträhne klebte mir an der Stirn.
Make-up im Dienst ging gar nicht, höchstens eine leichte Tagesmaske. Aber im Moment, bei der ständigen Hitze, hätte sowieso nichts gehalten.
Ich tupfte mir ein paar Tropfen Parfüm hinter die Ohren – Sun von Jil Sander. Mehr als gewöhnlich, doch ich hatte den stillen Verdacht, dass ich auch nicht sonderlich gut roch.
Natürlich war es auch dieses krankhafte Wetter, das mich langsam aber sicher mattsetzte. Jeder spürte das. Alles, was man anfasste, fühlte sich an, als wäre es mit einem unsichtbaren, klebrigen Film überzogen. Ich war schon gespannt, wann die Arzneimittelindustrie die ersten Engpässe an Aspirin melden würde.
Das Schlimmste aber war, dass man nicht mal richtig denken konnte.
Ich nahm das Sandwich vom Teller, doch im selben Moment hatte ich schon keinen Hunger mehr.
Falk Sieverstedt.
Jasmin Vedder.
Seit bald achtundvierzig Stunden fahndete die vollständige Besatzung des PK nach einer heißen Spur.
Sollte ich ernsthaft durch reinen Zufall auf diese entscheidende Spur gestoßen sein?
Und was bedeutete das für mich?
Albrecht hatte mich von der Ermittlung abgezogen. Ich konnte nichts mehr tun, ohne meinen Rausschmiss aus dem Polizeidienst zu riskieren.
Wenn der entscheidende Zusammenhang gar nicht bei Falk lag, wie wir die ganze Zeit angenommen hatten, sondern bei Marius und seiner Sendung, waren Maßnahmen notwendig, die nur Albrecht veranlassen konnte.
Ihm allerdings standen von diesem Moment an alle Türen offen.
Wenn er mit dieser Information in der Tasche einen Antrag stellte, Marius vorzuladen, würden Richter und Staatsanwaltschaft an einem Strang ziehen.
Oder er konnte an der Spitze von einem halben Dutzend uniformierter Beamter im Haus in den Schwarzen Bergen aufmarschieren. Ich hatte mehr als einmal erlebt, was eine solche simple Machtdemonstration für Wunder bewirken konnte.
Und ich war mir sicher, dass sie ihren Eindruck auf Marius nicht verfehlen würde.
Eine Routinebefragung war eine Sache. Wenn eine unbedarfte Ermittlerin sogar noch mitspielte und ihm den Gefallen tat, ihre Fragen live vor der Kamera zu stellen, war das super für die Quoten. Und der Aufmarsch der Fans vor den Toren des Anwesens tat der wunden Moderatorenseele mit Sicherheit auch wohl.
Tatsächlich ins Visier der Ermittler zu geraten, war allerdings eine ganz andere Angelegenheit.
Und eines stand für mich fest: Marius selbst hatte mit Sicherheit keinen Mord in Auftrag gegeben. Welchen Grund hätte er dafür gehabt?
Nein, dazu hatte er sich viel zu bequem eingerichtet
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