Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
ich habe mein Geld wirklich bekommen.«
Lucie umklammerte ihren Stift. Lacombe schien wohlhabend gewesen zu sein, um Judith so gut bezahlen zu können. Wenn er in den USA mit seinen Filmen Erfolg gehabt hatte, warum drehte er dann in schäbigen Lagerhallen in der Nähe von Montreal solch widerwärtige Szenen?
» Zurück in Frankreich, war ich zwar verunstaltet, hatte aber genug Geld, um anständig leben zu können. Später hatte ich das Glück, einem ehrlichen Mann zu begegnen, der zwar meine Filme kannte, mich aber dennoch liebte.«
Trotz all ihres Reichtums tat diese Frau Lucie leid. Sie wandte sich mit sanfter Stimme an sie.
» Und Sie sind nicht zur Polizei gegangen, haben nicht Anzeige erstattet?«
» Wozu? Mein Körper war ruiniert, und ich hätte nicht die andere Hälfte des Geldes bekommen. Dann wäre alles umsonst gewesen.«
Der Kommissar sah ihr in die Augen.
» Wissen Sie, warum er diese Szenen gedreht hat, Madame Sagnol?«
» Nein, ich habe es Ihnen doch schon gesagt, ich hatte keine Ahnung von dem Inhalt…«
» Ich spreche nicht vom Inhalt des Films, sondern von Jacques Lacombe. Nachdem er mehrere Jahre nichts von sich hat hören lassen, ruft er Sie plötzlich an. Er beugt sich über Sie, um Sie zu verstümmeln. Er filmt Sie in provokanten Posen. Was für einen Film wollte er mit solchen Szenen machen? Was war Ihrer Meinung nach sein Ziel?«
Sie überlegte und spielte dabei nervös mit dem großen Saphir, den sie am Mittelfinger trug.
» Die perversen Geister zu unterhalten, Kommissar…«
Sie schwieg lange, ehe sie fortfuhr:
» Ihnen Macht, Sex und Tod im Film zu bieten. Jacques wollte nicht nur provozieren oder schockieren. Es war immer sein Bestreben, durch das Bild das menschliche Verhalten zu beeinflussen, das war das eigentliche Ziel seiner Arbeit. Darum hat er sich wahrscheinlich auch für Pornografie interessiert. Denn was tut ein Mann, der sich einen erotischen Film anschaut?«
Mit der Hand machte sie eine eindeutige Bewegung.
» Das Bild wirkt direkt auf seinen Trieb und seine Libido, es durchdringt ihn und zwingt ihn zu reagieren. Und genau das wollte Jacques. Wenn er in Kanada von der Macht der Bilder sprach, benutzte er oft einen merkwürdigen Ausdruck…«
» Was für einen Ausdruck?«
» Das Syndrom E, ja, genau das war es, das Syndrom E.«
Sharko spürte, wie sein Atem schneller ging. Nun hörte er diesen Begriff zum zweiten Mal und immer in einem eindeutigen Zusammenhang.
» Was bedeutet das?«
» Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber er hat es oft wiederholt. Das Syndrom E, das Syndrom E… Als wäre er besessen davon. Eine Suche ohne Ziel.«
Lucie notierte den Begriff und kreiste ihn ein, bevor sie sich wieder der alten Dame zuwandte.
» Hatten Sie den Eindruck, dass Lacombe Mitarbeiter hatte? Einen Arzt, einen Wissenschaftler?«
Sie nickte.
» Ein Mann ist zu mir gekommen, bestimmt ein Arzt. Er brachte die LSD -Spritzen. Die beiden kannten sich sehr gut, sie waren sehr vertraut miteinander.«
Der Cineast und der Mediziner. Das entsprach dem Profil der Morde von Kairo und auch dem an Claude Poignet. Luc Szpilman hatte von einem Mann um die dreißig gesprochen, also konnte es sich auf keinen Fall um Lacombe handeln, der musste heute viel älter sein. Wer war es dann? Jemand, der von seinem Werk besessen war? Ein Erbe seines Wahnsinns?
» Aber all das liegt lange zurück, viel zu lange, als dass ich Ihnen mehr darüber sagen könnte. Es war vor einem halben Jahrhundert, und an die Ereignisse dort erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft. Heute weiß man ja, was dieses Dreckzeug von LSD für Schäden anrichten kann. Da kann ich von Glück reden, dass ich noch am Leben bin.«
Sharko leerte sein Glas.
» Wir möchten trotzdem, dass Sie sich den ganzen Film ansehen. Vielleicht fällt Ihnen ja noch irgendetwas ein.«
Judith Sagnol nickte halbherzig. Die beiden Kripobeamten spürten, dass sie aufgewühlt war.
» Was hat Jacques denn getan, dass Sie sich nun, fünfzig Jahre später, für ihn interessieren?«
» Wir wissen es leider noch nicht genau, aber im Zusammenhang mit diesem Film laufen Ermittlungen.«
Nach der Sichtung seufzte Judith Sagnol gedehnt. Sie zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch aus.
» Das ist typisch für ihn. Diese Art zu filmen, diese Besessenheit der Sinne, das Spiel mit Licht und Schatten, diese schmierige Doppeldeutigkeit. Sie sollten sich seine Kurzfilme ansehen, die Crash Movies, dann werden Sie verstehen.«
»
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