Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Titel: Öffne die Augen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franck Thilliez
Vom Netzwerk:
Seine Dose stellte er auf dem Couchtisch ab und blickte dann zur Seite.
    » Entschuldigen Sie mich.«
    Er verschwand auf dem Flur. Kurz darauf vernahm Lucie ein Geräusch, das sie an die Abfahrt des TGV auf dem Bahnhof von Marseille erinnerte. Sie hätte wetten können, dass es sich um eine Modelleisenbahn handelte…
    Sharko kam zurück und nahm in einem Sessel Platz. Lucie folgte seinem Beispiel.
    » Es ist nach Mitternacht, mein Chef hat schon jemanden auf das Syndrom E angesetzt. Ihre Recherchen können Sie morgen machen.«
    » Wozu Zeit verlieren?«
    » Sie verlieren keine Zeit. Im Gegenteil, Sie gewinnen welche, um zu schlafen, an Ihre Familie zu denken und sich zu sagen, dass es auch ein Leben außerhalb des Berufs gibt. Eigentlich ganz einfach, oder? Aber bis man es begriffen hat, bleiben einem oft nur noch alte Fotos.«
    Lucie schwieg eine Weile.
    » Ich mache auch viele Fotos, um die schönen Momente festzuhalten. Und wieder sind wir beim Thema Bilder. Bilder können Emotionen transportieren, Aufschluss über die Intimsphäre eines Menschen geben.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die Collage. » Ich verstehe Sie jetzt besser. Ich denke, ich weiß, warum Sie so sind.«
    Sharko trank sein Bier aus. Er hatte Lust, sich gehen zu lassen und die Härte der letzten Tage zu vergessen. Atef Abd el-Aals verkohltes Gesicht, die Slums von Kairo, die grässliche Narbe in Form eines Auges auf Judith Sagnols faltigem Bauch… Viel zu viel Düsteres.
    » Was meinen Sie mit ›so‹?«
    » Im ersten Augenblick kalt. Ein Typ, bei dem man das Gefühl hat, es wäre besser, ihm aus dem Weg zu gehen. Nur wenn man sich etwas anstrengt, bemerkt man, dass es hinter dem Panzer ein Herz gibt.«
    Sharko umklammerte seine Bierdose.
    » Und was sagen Ihnen die Fotos?«
    » Viel.«
    » Was, zum Beispiel?«
    » Sind Sie sicher, dass Sie es hören wollen?«
    » Zeigen Sie, was Sie können, Henebelle…«
    Lucie nahm die Herausforderung an. Sie hob die Hand mit der Bierdose in Richtung Tür.
    » Zunächst der Ort. Sie hängen, von der Eingangstür aus gut sichtbar, in Ihrem Wohnzimmer. Warum nicht im Schlafzimmer oder in einem anderen privateren Raum?«
    Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Küche, wo zwei Pizzakartons aus dem Mülleimer ragten.
    » Wenn ein Lieferant oder ein Fremder klingelt, öffnen Sie die Tür einen Spaltbreit, das Geld schon abgezählt in der Hand. Sie lassen sie nie über die Schwelle treten, denn weder drinnen noch draußen gibt es einen Fußabstreifer. Die Bilder hängen genau so, dass man sie, nicht aber den Rest der Wohnung sehen kann. Sie und Ihre Familie, ein Eindruck von Normalität und Glück. Schalten Sie auch Ihre Modelleisenbahn ein, damit man denkt, hier würde ein Kind spielen?«
    » Interessant, was Sie da erzählen. Sprechen Sie weiter.«
    » Ihre Vergangenheit wollen Sie nur in Ihrer Wohnung zulassen, und wenn man hier, in diesem Sessel sitzt, bezeugen die Fotos eindeutig, dass Ihrer Familie ein Unglück zugestoßen ist. Es gibt kein Bild neueren Datums, weder von Ihrer Frau noch von Ihrem Kind, und auch Sie selbst sind auf den letzten ein paar Jahre jünger und sehen besser aus. Ihre Tochter muss zu dieser Zeit etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Das ist das Alter der Veränderungen, des ersten Abnabelungsprozesses. Die Schule, die Kinder gehen am Morgen weg und kommen erst mittags zurück. Das muss man kompensieren, man macht viele Fotos, so als könnte man die Entwicklung damit verlangsamen, die Kleinen zu Hause behalten oder ihre Abwesenheit durch etwas Künstliches ersetzen. Aber bei Ihnen… keine neuen Aufnahmen, so als… hätte das Leben plötzlich aufgehört. Erst das Ihrer Frau und Ihrer Tochter, dann Ihr eigenes. Darum arbeiten Sie im Büro und nicht mehr im Außendienst, denn der hat Sie Ihre Familie gekostet.«
    Sharko schien jetzt völlig abwesend. Er saß vorgebeugt da, die Hände zwischen den Schenkeln, den Blick auf den Boden gerichtet.
    » Machen Sie weiter, Henebelle. Machen Sie weiter. Lassen Sie die Katze aus dem Sack.«
    » Ich denke an einen Fall, der schlecht ausgegangen ist. Und plötzlich war Ihre Familie impliziert und mit dem konfrontiert, wovor Sie sie immer schützen wollten… Was? Ein Verdächtiger, der sie angegriffen hat?«
    Schweigen. Schmerzhaft und verletzend. Sharko forderte Lucie auf fortzufahren.
    » Mit diesen Fotos zeigen Sie Ihre Gefühle. Hier, in dieser Wohnung, können Sie sich öffnen, der Mann sein, der Sie früher einmal waren –

Weitere Kostenlose Bücher