Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
ist…«
Sharko erinnerte sich an jedes Detail. Es war vor einem Jahr gewesen. Kokainhandel in der Nähe von Fontainebleau. Ein kleinerer Fisch ging ins Netz, Olivier Hussard, zwanzig Jahre alt. Der Patensohn von Kathia. Die bat ihren Mann, einzugreifen und zur Strafminderung seine Beziehungen spielen zu lassen. Doch Martin Leclerc blieb hart wie Stein und seinem Berufsethos treu.
Sharko machte sich Vorwürfe. Von seinen eigenen Dämonen geblendet, hatte er seinem Chef nichts angemerkt. Er, der Analytiker, der das Verhalten anderer unter die Lupe nehmen sollte.
» Ich hätte das Recht gehabt, es zu wissen.«
» Das Recht, es zu wissen? Im Namen welcher gottverdammten Regel hättest du das Recht gehabt?«
» Ganz einfach im Namen unserer Freundschaft.«
Bedrückendes Schweigen erfüllte den Raum. In der Ferne war das Brummen eines Motorrads zu hören.
» Ich habe den Boss aufgesucht, Shark. Vorgestern wurde es beschlossen.«
» Was? Sag jetzt bloß nicht, dass…«
» Doch… nach Abschluss dieses Falls werde ich aufhören. Ich halte es keine weiteren acht Jahre aus. Mit der Angst im Bauch auf die Pensionierung zu warten. Nicht ohne Kathia. Seit mehreren Tagen schläft sie bei ihrer Schwester, das treibt mich halb in den Wahnsinn. Und siehst du mich allein altern wie…«
Er hielt mitten im Satz inne. Sharko fixierte ihn.
» Wie ich, wolltest du sagen?«
Leclerc verschanzte sich hinter den Bergen von Blättern, die er mehrmals umschichtete.
» Du gehst mir auf die Nerven, Shark. Verschwinde!«
Wie vor den Kopf gestoßen, trat der Kommissar vom Schreibtisch zurück. Sein Blick hatte sich leicht verschleiert. Leclerc war sich gewiss nicht des Schocks bewusst, den er bei ihm ausgelöst hatte. Sharko ballte die Hände zu Fäusten.
» Weißt du, was dein Weggang für mich bedeutet? Für die Handvoll an Jahren, die ich hier noch absolvieren muss?«
Leclerc schlug mit der Hand auf die Tischplatte.
» Ja, ja, ich weiß! Was glaubst du denn?«
Diesmal fixierte Leclerc seinen Untergebenen.
» Hör zu, ich werde alles tun, damit…«
» Gar nichts wirst du tun. Wenn du gehst, fliege ich, und das weißt du genau. Niemand will einen alten, kranken Bullen. Nicht mal in einem Aktenschrank. So einfach ist das.«
Leclerc sah seinen Freund kopfschüttelnd an.
» Setz mich nicht unter Druck. Es ist so schon alles schwer genug.«
Leicht gebeugt ging Sharko auf die Tür zu. Die Hand auf dem Griff, drehte er sich noch einmal um.
» Als ich meine Frau und meine Tochter verloren habe, wart ihr da, Kathia und du. Was auch immer passiert und welche Entscheidungen du triffst, ich akzeptiere sie. Und jetzt sagst du Josselin, dass ich mich für einen Tag ausruhe, weil ich von allen Seiten Stimmen höre.«
Kapitel 42
Autobahn Richtung Süden. Monoton, endlos. Die Fenster weit geöffnet, das Radio auf volle Lautstärke gedreht, hatte Sharko Lyon hinter sich gelassen und fuhr jetzt auf Marseille zu. Sein Handy lag vor ihm auf dem Armaturenbrett.
» Das Schlimmste ist, dass ich gar nicht weiß, wie ich ihm helfen soll. Kathia aufsuchen? Das ist doch keine Lösung. Ich habe den Eindruck, auf der Stelle zu treten.«
» Was bedeutet das‚ auf der Stelle treten?«
Sharko starrte auf den Beifahrersitz.
» Das bedeutet sich abstrampeln und nicht weiterkommen. Und genau das tue ich momentan.«
Eugénie spielte mit einer Haarsträhne, die sie um ihren Finger wickelte, und setzte ihre biestige Miene auf.
» Ist dir übrigens aufgefallen, wie sehr diese Lucie Suzanne ähnelt?«
Der Hauptkommissar verschluckte sich. Dieses Mädchen war wirklich unberechenbar. Er zuckte die Achseln.
» Sie ähnelt Suzanne, so wie dein Saucentopf einer Lokomotive ähnelt.«
» In deinen Augen, wollte ich sagen. In deinen Augen ähnelt sie Suzanne… Und in deinem Herzen aus Stein ebenfalls. Ich weiß es. Da drinnen ist es ganz heiß.«
» Du fantasierst.«
» Nein, du fantasierst natürlich… Lucie löst etwas in dir aus, deshalb willst du sie beschützen. Kanada ist weit weg.«
Das Handy des Kommissars begann zu vibrieren.
» Ich mag Lucie. Und ich würde mich freuen, wenn es zwischen euch beiden funktioniert.«
» Du bist völlig verrückt, Kleine.«
Er nahm das Gespräch an. Es war einer seiner Kontakte beim Inlandsgeheimdienst.
» Hast du die Info?«
» Was glaubst du? Der derzeitige Kommandant der Legion ist ein Oberst namens Bertrand Chastel. Der Typ hat eine Wahnsinnskarriere hingelegt.«
» Erzähl.«
» Als Berufslegionär
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