Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
antwortete mit einem Haifischlächeln und ging zum Gegenangriff über.
» Ich bin allein hier, und niemand weiß von meinem Besuch, was Ihnen bereits bekannt ist. Und falls Sie das beruhigen kann: Es wird keine Ermittlungen bei der Fremdenlegion geben. Alle sind sich einig: Mohamed Abane oder besser Akim Abane, nennen Sie ihn, wie Sie wollen, ist nie hier gewesen.«
» Sie sind völlig verrückt. Was Sie da sagen, ergibt überhaupt keinen Sinn.«
» So verrückt, dass ich Geld von Ihnen verlangen werde, Colonel Chastel, viel Geld… genug, um kündigen und ein angenehmes Leben als Privatier führen zu können. Na ja, viel… ein Tröpfchen, sagen wir, für die Fonds des Geheimdienstes. Glauben Sie, es macht mir Spaß, weiter in der Scheiße herumzuwühlen?«
Sharko ließ seinem Gegenüber keine Zeit zu antworten; er musste rasch handeln. Er zog ein Papier aus seiner Mappe und legte es dem Oberst vor.
» Der Beweis für meine Ehrlichkeit.«
Chastel senkte den Blick.
» GPS -Koordinaten? Was hat das zu bedeuten?«
» Sollten Sie oder Ihre ›Freunde‹ einen kleinen Umweg über Ägypten machen– man weiß ja nie–, dann würden Sie dort die Leiche eines gewissen Atef Abd el-Aal finden, Ihr Wachposten in Kairo. Es sei denn, Sie sind auch dort längst auf dem Laufenden. Geben Sie dieses Papier den französischen oder ägyptischen Behörden, und ich verbringe den Rest meiner Tage im Knast.«
Das erstarrte Gesicht des Oberst schien wie in Beton gegossen. Sharko richtete sich auf.
» Ich werde auch die Sache mit den Abhörgeräten vergessen. Sie sehen, zwischen Ihnen und mir herrscht totales Vertrauen.«
Er trat zur Tür zurück.
» Nicht nötig, mich zu begleiten. Ich finde den Ausgang allein. Ich kontaktiere Sie in ein paar Tagen. Und, ein guter Rat, für den Fall, dass mir etwas passieren sollte… Ich habe selbstverständlich Vorkehrungen getroffen.«
Er deutete mit dem Kinn auf den Ehrenkodex der Legion.
» Sie sollten ihn vielleicht noch einmal lesen.«
Schließlich drehte er sich um und ging.
Er wurde nicht zurückbegleitet.
Als er den Weg dieser Soldaten kreuzte, die mit blanker Waffe am Gürtel trainierten und bereit waren zu töten, fragte er sich, ob er nicht sein Todesurteil unterschrieben hatte. Er hatte dafür gesorgt, dass er jetzt die Fremdenlegion und wahrscheinlich auch den Geheimdienst im Nacken hatte. Er hatte geahnt, dass sich etwas hinter dieser Affäre verbarg, und hatte sich nicht geirrt.
Er fuhr mit durchgetretenem Gaspedal über die A6. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Er hatte Henebelle seine Schwächen, seine tiefen Wunden offenbart, weil er wusste, dass sie war wie er und dass spontan ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen entstanden war.
Doch andere Ohren hatten mitgehört. Chastel, seine Schergen…
Im Moment kam er sich nackt, verraten, fast beschämt vor.
Sieben Stunden später war er zu Hause angekommen. Er begann, seine Wohnung auf den Kopf zu stellen, und entdeckte vier Mikros. Eines im Sockel seiner Halogenlampe, die drei anderen in seinen Heizungsthermostaten. Winziges Standardmaterial, das alle möglichen Polizeidienste verwendeten. Mit Sicherheit gäbe es nirgendwo einen Fingerabdruck.
Wütend schleuderte er die Mikros auf den Boden.
Eugénie zertrat sie schließlich.
Fortan schienen ihm die Sig Sauer in seinem Holster und die zwei Schlösser an seiner Wohnungstür unendlich illusorisch.
Kapitel 43
Lucie war erst ein Mal in ihrem Leben geflogen, und zwar auf die Balearen. Sie war damals etwa neun Jahre alt gewesen, und der Flug hatte ihr unglaublich gut gefallen. Sie erinnerte sich, dass sie zwischen ihren Eltern gesessen hatte, die ihr übers Haar strichen, um sie zu beruhigen, wenn sie bei Turbulenzen Angst bekam. Eines der letzten Male, als sie alle drei zusammen gewesen waren. Inzwischen lag es eine Ewigkeit zurück…
Nachdenklich lehnte sie den Kopf an das Fenster der Boeing 747, die Montreal überflog. Die Stewardess hatte sie gerade geweckt und darauf hingewiesen, dass es Zeit war, den Sicherheitsgurt anzulegen. Der Landeanflug begann. Lucie hatte den ganzen Flug über tief und fest geschlafen– für sie eher ungewöhnlich. Im blassen Abendlicht bewunderte sie die noch unberührte Landschaft: große Seen, Wälder, Flüsse und Sümpfe. Dann tauchte die Mündung des Sankt-Lorenz-Stroms mit den ersten großen Agglomerationen auf, und das Flugzeug zog eine Schleife über die berühmte rautenförmige Insel von
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