Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
nicht glauben. Ich dachte, ich hätte es mit einem Anhänger von Verschwörungstheorien zu tun– ähnlich wie damals, als ich nach dem Prozess im Jahr 1977 von solchen Leuten belästigt wurde. Um ihn abzuwimmeln, erklärte ich ihm, er täusche sich, die Verwicklung der CIA sei aufgedeckt, und nie und nimmer hätten Kinder an dem Programm der Gehirnwäsche teilgenommen. Also mailte er mir ein Schwarz-Weiß-Foto, das aus einem Film stammte, und schrieb, wenn mich das interessieren würde, solle ich ihn anrufen.«
Lucie ballte die Fäuste.
» Das Foto zeigte die Mädchen und die Kaninchen, nicht wahr? Der Schlüssel und Anfang von allem, wie Sie mir bei unserem geheimnisvollen Telefonat gesagt haben?«
» Ganz genau. Ich sehe noch dieses blutbesudelte Zimmer, die zusammengesunkenen Kinder in ihren Krankenhauspyjamas inmitten des Gemetzels. Die Bilder waren von unglaublicher Intensität. Sie haben mich neugierig gemacht, und so rief ich ihn an. Er wollte mir den Film nicht schicken, sondern meinte, ich solle zu ihm kommen, um ihn zu sichten. Ich wusste, dass ich es mit einem äußerst misstrauischen und paranoiden Menschen zu tun hatte, der aber auch unglaublich intelligent war. Am übernächsten Tag war ich bei ihm in Lüttich. Er ist mit mir in seinen privaten Vorführraum gegangen, und dort habe ich den Film gesehen. Das Original und auch die versteckten Bilder, die der alte Mann dank seiner Kontakte zu einer Neuromarketingabteilung herausgearbeitet hatte.«
Lucie lauschte aufmerksam. Dieser Kontakt war sicherlich der Chef von Georges Beckers gewesen– dem kleinen Pausbäckigen, der Kashmareck überredet hatte, sich den Film in seinem Scanner anzusehen.
» Gleich beim ersten Bild wusste ich, dass er recht hatte. Ich hatte Gewissheit.«
» Warum Gewissheit?«
Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Computer.
» Alles ist dort, genau vor Ihnen. Die Verbindung zwischen Szpilmans Film und dem, was in den Krankenzimmern des Barley Intituts geschehen ist. Der unwiderlegbare Zusammenhang zwischen den Duplessis-Waisen und der CIA .«
Er schloss die Powerpoint-Anwendung und klickte auf eine . avi. -Datei.
» Gleich zeige ich Ihnen, welche Art Videos die CIA herstellte, damit Sanders sie dann als Endlosschleife seinen Patienten vorführte, um sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Aber zuerst muss ich Ihnen erzählen, was in Szpilmans Haus in Belgien passiert ist. Nach der verwirrenden Filmvorführung hat er vom Phänomen der Massenhysterie gesprochen…«
Lucies Herz schien auszusetzen. Sie hing an den Lippen des Anwalts.
» Dieser Typ war eine wandelnde Enzyklopädie. Er glaubte, einen Zusammenhang zwischen verschiedenen… blutigen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts gefunden zu haben. Seiner Meinung nach war der Arzt, der das Experiment veranlasst hatte, nicht Sanders und das Programm nicht Mkultra, sondern ein paralleles, noch geheimeres, bei dem es nicht um Gehirnwäsche ging.«
» Worum dann?«
» Warten Sie, das Beste kommt noch. Wlad Szpilman lief zu seinem Bücherregal und holte Originalaufnahmen des Genozids von Ruanda heraus. Er hatte sie direkt von einem Kriegsberichterstatter bekommen, den er ausfindig gemacht hatte. Und dann erzählte er mir von etwas völlig Verrücktem: von der mentalen Kontamination.«
» Mentale Kontamination?«
» Ja, ja, etwas, das durchs Auge übertragen wird und so aggressiv ist, dass es die zerebrale Struktur verändert.«
Lucie reagierte sofort.
» Einer meiner Freunde, Ludovic Sénéchal, hat das Augenlicht verloren, nachdem er den Film gesehen hat. Das nennt man hysterische Blindheit. Bestimmte Bilder haben sein Gehirn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Meinen Sie so etwas?«
» Es ist viel schlimmer, denn die hysterische Blindheit ist ein rein psychologisches Phänomen. Bei der mentalen Kontamination wird nicht nur die Struktur des Gehirns beeinflusst– in physischer Hinsicht meine ich–, sondern es entsteht vor allem eine Kettenreaktion, die wie ein Virus von einem zum anderen überspringt. Sie werden es gleich verstehen. Warten Sie kurz…«
Er unterbrach sich plötzlich und wandte sich zu der Fensterfront.
» Haben Sie das gehört?«
» Was?«
Er stürzte zum Tisch und griff nach seiner Waffe.
» Ein Knacken.«
Lucie blieb unbeeindruckt. Das Bier hatte sie beruhigt.
» Wahrscheinlich das Feuer.«
» Nein, nein. Es kam von draußen.«
Er schaltete das Licht aus und näherte sich der Scheibe. Der rote Schein des Ofens fiel auf sein
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