Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Rotenberg drehte den Apparat um und öffnete mit zitternden Händen die Klappe. Er riss eine Art kleinen elektronischen Schaltkreis heraus.
» Sicher ein Sender.«
In seinen blauen Augen stand Panik. Lucie ließ den Kopf sinken.
» Mein Sitznachbar im Flugzeug… ich habe tief und fest geschlafen.«
» Wahrscheinlich betäubt. Sie beobachten Sie bestimmt schon lange. Und sie haben sich Ihrer bedient, um zu mir zu gelangen. Sie… sie sind hier.«
Lucie dachte an die Mikros in ihrer und Sharkos Wohnung. Einfach für die Mörder, ihr zu folgen. Sofort zog Rotenberg sein Mobiltelefon aus der Tasche, schaltete es ein und wählte die 911.
» Philip Rotenberg. Schicken Sie schnellstens Leute nach Matawinie, in der Nähe des Sees, an der Mündung des Matawin-Flusses. Ich gebe Ihnen die genauen GPS -Koordinaten, bitte schreiben Sie sie auf.«
» Grund des Anrufs?«
» Man versucht, mich umzubringen.«
Er gab die Koordinaten an, die er auswendig kannte, bat um Eile und beendete das Gespräch. Dann schlich er geduckt zum Ofen. Lucie tat es ihm gleich. Das Feuer erhellte gefährlich das Innere des Hauses, das überall große Fensterfronten hatte. In dem Augenblick, als er den Ofen erreicht hatte, zersplitterte die Scheibe.
Philip Rotenberg wurde nach hinten geschleudert und stürzte rücklings zu Boden. Ein roter Fleck breitete sich auf seinem Hemd aus. Seine Brust hob und senkte sich noch. Plötzlich loderten draußen Flammen auf wie große, wogende Vorhänge, die sich ins Holz fraßen. Vorn, hinten. Überall. Das Feuer, das Lacombe vor so langer Zeit das Leben gekostet hatte, suchte neue Opfer.
Lucie stürzte zu Rotenberg, der pfeifend atmete. Sie presste beide Hände auf die Wunde, und sofort färbten sich ihre Finger rot.
» Halten Sie durch, Philip!«
Der Mann umklammerte Lucies Handgelenke. In seinen Augen stand der Tod. Eine dicke schwarze Rauchwolke drang unter der Tür hindurch.
» An meinem Hals… der Schlüssel… reißen Sie ihn ab.«
Lucie zögerte kurz und gehorchte dann. Sie zog an der dünnen Kette. Jetzt quoll Blut aus Rotenbergs Mund.
» Zu was gehört dieser Schlüssel?«
Der Anwalt murmelte etwas Unverständliches.
Eine Träne, dann nichts mehr.
Lucie steckte den Schlüssel in ihre Tasche und hob den Kopf. Sie griff nach der Waffe und blickte sich schnell um. Es blieb nur eine Stelle, die nicht vom Feuer erhellt war: die gut sichtbare Fensterfront.
Lucie versuchte, blitzschnell nachzudenken. Der Killer hätte sie gleichzeitig mit Rotenberg umbringen können, aber er hatte es nicht getan. Er versuchte, sie herauszulocken wie ein Kaninchen aus dem Bau.
Lucie hatte keinen Zweifel mehr daran, dass der Mörder sie lebendig haben wollte.
Wenn sie einen Fuß nach draußen setzte, wäre sie verloren.
Sie begann zu husten. Die Temperatur stieg, das Holz begann zu knacken. Sie musste durchhalten.
Auf der anderen Seite der Wände züngelten die Flammen gierig in die Höhe. Bald hätten sie alles erfasst. Im Schutz des Ofens lief Lucie geduckt zu dem Couchtisch, zog ihr Sweatshirt aus, rollte es zusammen und durchtränkte es mit Wasser, um es sich dann auf die Nase zu pressen.
Durchhalten, durchhalten… Der Mann draußen würde sich zwangsläufig irgendwann Fragen stellen, vermuten, dass sie geflohen war. Er würde aufgeben.
Eine Scheibe zerbarst in tausend Stücke. Lucie glaubte, vor Angst sterben zu müssen.
Das Feuer begann seine Invasion, die Flammen ergriffen Besitz von dem Holz. Lucies Augen tränten, sie drohte, das Bewusstsein zu verlieren. Sie krallte die Nägel in ihre Oberschenkel. Durchhalten.
Eine Minute… zwei Minuten…
Plötzlich zeichnete sich an der von einer Rauchwolke verhüllten Fensterfront eine Gestalt ab. Mit ausgestrecktem Revolver trat sie vorsichtig ein. Ein blondhaariger Kopf wandte sich nach allen Seiten. Lucie sprang mit einem Schrei auf und schoss blindlings in seine Richtung.
Der Mann brach zusammen.
Lucie hielt den Atem an und rannte durch das verrauchte Zimmer. Als sie über die Leiche hinwegstieg, erkannte sie eindeutig ihren Sitznachbarn aus dem Flugzeug. Er trug Rangers.
Sie stürzte nach draußen, lief zehn Meter und ließ sich ins Gras fallen.
Nach einer Weile gelang es ihr, tief Luft zu holen.
Als sie sich umdrehte, war das Chalet nur noch eine einzige Feuerkugel.
Lucie hatte jetzt keine Tasche, keine Papiere und keine Identität mehr.
Sie hatte in einem fremden Land einen Mann erschossen.
Kapitel 50
Das zuckende Blaulicht der Polizeiwagen
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