Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
hat, zeigte keinerlei Spuren von Flüssigkeit oder Glaskörper. Alles andere sollten Sie im Untergeschoss mit Doktor Busnel besprechen. Ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet und möchte vor meiner Konferenz zumindest noch duschen.«
Die beiden Männer verabschiedeten sich auf dem Gang. Von den letzten Informationen beeindruckt, ging Sharko die Treppe hinunter. Er entwickelte eine erste Theorie, die zwei gegensätzliche Richtungen zuließ. Zum einen konnte der Mord durch Erschießen und das Vergraben auf eine Exekution hindeuten: Diese Männer hatten vielleicht versucht zu fliehen oder anzugreifen, man hatte sie abgeknallt und auf äußerst » professionelle« Art verschwinden lassen. Neben Verbrennen und Säure ist das tiefe Vergraben eine der besten Methoden dafür. Zum anderen war da aber die Entfernung der Gehirne und Augen, die auf ein perfekt ausgeführtes Ritual hindeuteten, welches Kaltblütigkeit und eine ordentliche Portion Sadismus voraussetzte. Fünf Leichen, das erinnerte sofort an einen Serienkiller oder an Massenmord. Aber mit zwei Tätern? Er hatte es hier mit Sicherheit nicht mit einem gewöhnlichen Fall zu tun. Sharko erinnerte sich daran, dass er keine Hypothese hinsichtlich der tieferen Beweggründe des oder der Mörder außer Acht lassen durfte. Es gab auf dieser Welt viele Menschen, die verrückt genug waren, um andere umzulegen und dann den Inhalt ihres Schädels auszulöffeln.
Der Kommissar kam zur Leichenhalle. Am Ende des Ganges brannte hinter einer Glastür eine helle Operationslampe. In einem Rechtsmedizinischen Institut war der Obduktionsraum nie schwer zu finden. Man brauchte im Allgemeinen nur der Nase nachzugehen. Als Sharko die Tür öffnete, besprenkelte Doktor Busnel gerade den Boden mit Wasser. Der Pariser Polizist blieb auf der Schwelle stehen. Er wartete, bis der Arzt ihn bemerkte, und trat dann zu ihm.
» Hauptkommissar Sharko aus Paris?«
Die beiden Männer tauschten einen festen Händedruck.
» Wie ich sehe, hat Kommissar Péresse alle informiert.«
» Sie kommen nach den anderen, und ich muss gestehen, dass ich eigentlich keine Lust habe, noch mal dasselbe zu erzählen. Seit zwei Tagen sitze ich nun schon an diesem Fall. Ich bin kaputt, und die Berichte…«
Sharko deutete auf eine Fliege auf dem grünen Laken, das die Leiche bedeckte.
» In meinem Hotel war auch eine. Hier ist es dagegen eiskalt. Sie sind einfach nicht aufzuhalten. Ich hasse Insekten, besonders alles, was fliegt.«
» Gut. Kommen Sie bitte her, damit wir endlich anfangen können.«
Der Kommissar beobachtete, wie das Wasser langsam durch eine Rinne abfloss. Vorsichtig, so als würde er auf Eiern gehen, trat er näher.
» Ich gebe nur auf meine Schuhe acht, sie sind aus Cordovan-Leder und…«
» Wenn es Ihnen recht ist, sprechen wir jetzt über das am besten erhaltene Exemplar. Ich nehme an, mein Kollege von der Anthropologie hat Ihnen schon alles andere erklärt.«
» Ja.«
Busnel war ein großer, kräftiger Typ, der ungefähr einen Meter neunzig maß. Mit seinem kantigen Gesicht und der platten Nase hätte er durchaus in eine Rugby-Mannschaft gepasst. Sharko richtete den Blick auf die Leiche– ein unbeschreibliches Gebilde, ein Magma von Haut, Erde, Knochen und Sehnen. Sie ähnelte so wenig einem Menschen, dass der Anblick nichts Schockierendes mehr hatte. Auch hier hatte man die Schädeldecke entfernt.
Der Rechtsmediziner zeigte auf die linke Schulter.
» An dieser Stelle ist die Kugel eingedrungen und dann hinten durch den Deltamuskel wieder ausgetreten. A priori war sie aber nicht die Todesursache. Ich sage a priori, weil ich bei diesem Grad der Verwesung keine präzise Todesursache benennen kann.«
Busnel deutete auf die aufgeschürften Partien an Armen, Handgelenken und Oberkörper.
» Diese Bereiche sind enthäutet worden.«
» Mit einem Instrument?«
Der Mediziner ging zu einem Tisch und hob ein verschlossenes Glasröhrchen hoch. Sharko kniff die Augen zusammen.
» Fingernägel?«
» Ja, sie steckten im Fleisch. Die Analysen müssen es bestätigen, aber ich glaube, dass es sich um seine eigenen Nägel handelt. Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand.«
» Er hat sich also vor seinem Tod selbst zerkratzt.«
» Ja, so sehr, dass es fast unvorstellbar ist. Die Schmerzen müssen grauenvoll gewesen sein.«
Der Kommissar hatte mehr und mehr den Eindruck, vollständig im Dunkeln zu tappen. Diese Entdeckungen waren absurder, als er vermutet hatte.
» Und bei den anderen
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