Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Ritual, das Vorgehen hatte nichts Methodisches, während das Vergraben und die Verstümmelung der Leichen auf genaue Planung schließen ließen. Was mochte vorgefallen sein? Eine Exekution? Eine Abrechnung?
Sharko trank einen Schluck von seinem Kaffee.
» Ich nehme an, Sie haben keine Kugeln gefunden?«
» Nein, weder in den Leichen noch am Auffindungsort. Sie sind alle entfernt worden, und wie die zerstückelten Rippen des einen Skeletts beweisen, manchmal auf sehr brutale Art.«
Diese Antwort hatte Sharko erwartet. Der Mörder hatte bis ins letzte Detail eine erstaunliche Exaktheit an den Tag gelegt und alle Spuren verwischt. Durch ballistische Untersuchungen würde sich die Waffe nicht identifizieren lassen.
» Irgendwelche Fragmente von Projektilen?«
Nicht ummantelte Geschosse hinterließen immer Spuren, ähnlich einem Kometenschweif.
» Absolut nichts. Es wurden mit Sicherheit ummantelte Projektile verwendet.«
Das verwunderte Sharko nicht wirklich. Bei der klassischen Munition handelte es sich zumeist um Legierungen und um Voll- und nicht um Hohlgeschosse, nur bei manchen Jagdgewehren um Bleikugeln. Der Kommissar fuhr sich mit der Hand durch den Bürstenschnitt. Er suchte etwas anderes, einen Weg, um eine ernsthafte, greifbare Spur aufzutun. Dann rief er sich in Erinnerung, dass er nur ein Beobachter war. Er sollte die Psyche und die Motivation des Mörders herausarbeiten, sonst nichts. Er würde sich nicht vom Reiz der Ermittlungen vereinnahmen lassen.
» Können Sie sagen, wie lange sie tot sind?«
» Das ist das Schwierigste. Bei den in der Erde vergrabenen Leichen haben wir immer ernsthafte Probleme mit der Schätzung. Alles hängt von Feuchtigkeit, Tiefe, pH-Wert und der Zusammensetzung des Erdreichs ab. An der Fundstelle ist die Erde besonders sauer. Angesichts des Verwesungsgrads der Leichen würde ich sagen, zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Präzisere Angaben kann ich leider nicht machen.«
Vor einer Ewigkeit also.
» Wurden sie zur gleichen Zeit getötet?«
» Davon gehe ich aus. Der Entomologe hat auf den Überresten nur sehr wenige Larven der ersten Phase von Stubenfliegen gefunden. Das heißt, die Männer wurden ein oder zwei Tage nach Eintritt des Todes begraben. Man hat sie sicherlich vom Tat- zum Auffindungsort gebracht.«
Der intakte Teil von Sharkos Gehirn verarbeitete bereits die Fakten. Man würde sich die Vermisstenkartei noch einmal mit anderen Prioritäten, das heißt, eher datums- als ortsbezogen, vornehmen müssen.
Der Anthropologe setzte seine Ausführungen fort.
» Ich nehme auch an, dass sich nach ihrem Tod zwei verschiedene Täter an den Leichen zu schaffen gemacht haben. Der eine hat die Schädeldecken aufgesägt… der andere hat sich Zähne und Hände vorgenommen.«
Er reichte dem Kommissar eine Lupe.
» Der Schädel wurde mit chirurgischer Sorgfalt aufgeschnitten, ganz offensichtlich mit einer oszillierenden Stryker-Säge oder einem ähnlichen Instrument, wie es in der Rechtsmedizin oder Chirurgie verwendet wird. Da war ein Profi am Werk. Sie können es sich genau ansehen, typische Spuren vom Sägeblatt.«
Sharko griff nach dem Vergrößerungsglas und legte es auf den Tisch, ohne es zu benutzen.
» Ein Profi… welche Berufsgruppe?«
» Jemand, der daran gewöhnt ist, sich einer Säge zu bedienen. Ausgangs- und Endpunkt des Schnitts korrespondieren exakt, und ich kann Ihnen versichern, das ist bei einem kreisförmigen Objekt nicht einfach. Was den Beruf angeht, so reicht das Spektrum vom Holzfäller bis zum Rechtsmediziner.«
» Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass ein Holzfäller eine Eiche mit einer chirurgischen Säge fällt. Und das zweite mögliche Individuum?«
» Die Zähne sind brutal mit einer Zange herausgebrochen worden, die Wurzeln stecken noch im Kiefer. Was die Hände betrifft, so wurde eher ein Beil benutzt. Wäre es nur ein Täter, so hätte er das sicher fachmännischer erledigt und seine Säge benutzt.«
Plaisant sah auf seine Uhr, stellte seine Tasse neben der Kaffeemaschine ab, schaltete sie aus und erklärte:
» Tut mir leid, ich muss gehen. Sie finden alles in…«
» Ist die Hirnmasse entfernt gewesen?«
» Ja, ansonsten hätte man Reste von Zerebrospinalflüssigkeit gefunden oder Dura Mater, das heißt, sehr dichte Kollagenmasse, die ein Jahr unter der Erde überdauert. Sie haben auch die Augen mitgenommen.«
» Die Augen?«
» Das können Sie im Bericht nachlesen. Die Erde, die man in den Augenhöhlen gefunden
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