Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Leichen?«
» Angesichts ihres Zustands schwer zu sagen. Ich denke, sie weisen ebenfalls starke Abschürfungen an Schultern, Waden und Rücken auf. Die rühren aber nicht von Fingernägeln. Die Spuren sind deutlich, regelmäßig und vor allem sehr tief. Als wären sie mit einem Messer oder einen Schneideinstrument beigebracht worden. Eine gängige Technik, um Tätowierungen zu entfernen.«
Er deutete wieder auf die Nägel.
» Man kann jeden zwingen, sich selbst zu verstümmeln, wenn man ihm eine Knarre an die Schläfe hält. Wichtig ist zu wissen, warum.«
» Kann ich Fotos bekommen?«
» Sie sind der Akte beigefügt. Kein schöner Anblick, das können Sie mir glauben.«
» Ich habe den Rechtsmedizinern immer geglaubt.«
Der Arzt deutete mit dem Kinn auf ein Tablett, auf dem ein durchsichtiges Tütchen lag.
» Da wäre noch das. Ein kleines Stück grünes Plastik, das ich zwischen Schlüsselbein und Hals unter der Haut gefunden habe.«
» Haben Sie eine Ahnung, was es ist?«
» Ein zylinderförmiger Gegenstand, in der Mitte hohl. Vermutlich der Rest einer subkutanen Infusion, wie man sie in der Chirurgie verwendet.«
» Wozu?«
» Das muss ich mit dem Chirurgen klären. Aber wenn ich mich recht entsinne, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht ein Portkatheter beispielsweise für eine Chemotherapie. Aber es kann sich auch um einen Zentralkatheter handeln, um dem Patienten nicht jedes Mal einen neuen Port setzen zu müssen. Die toxikologische Analyse der Zellen müsste Aufschluss darüber geben. Litt er an einer Krankheit? An Krebs?«
» Noch etwas?«
» Nicht, was mich betrifft. Der Rest ist rechtsmedizinische Technik und für Sie nicht von besonderem Interesse. Ich habe für die DNA -Untersuchung Gewebe im großen Lendenmuskel entnommen. Da die Schädel ja geschoren waren, haben wir die Schamhaare an die Toxikologie weitergeleitet. Jetzt sind die am Zug. Wir können nur hoffen, auf diese Weise zu einer Identifizierung zu gelangen, denn sonst wird die Sache äußerst kompliziert.«
» Glauben Sie nicht, dass sie das ohnehin schon ist?«
Der Rechtsmediziner legte seinen fleckigen Überkittel ab. Sharko sah auf den Boden und rieb sich das Kinn.
» Selbst zu der Zeit, als ich noch ständig in Leichenhallen zugegen war, habe ich nie daran gedacht, mir Gummischuhe zu kaufen, wie Sie sie tragen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Paar Mokassins ich mir versaut habe. Der Geruch des Todes… frisst sich ins Leder. Wo kann man solche Dinger kaufen?«
Der Arzt musterte ihn und wandte sich dann mit einem müden Lächeln ab, um seine letzten Instrumente aufzuräumen.
» In der Gartenabteilung eines Baumarkts dürften Sie fündig werden. Und nun viel Glück, Kommissar. Wenn Sie erlauben, gehe ich jetzt schlafen.«
Als er wieder draußen war, atmete Sharko tief die klare Luft ein und sah auf seine Uhr: fast elf. Die meisten Berichte würden erst am späten Nachmittag eintreffen. Er hob den Blick zu dem wolkenlosen Himmel und schnupperte an seiner Kleidung. Kaum zwei Stunden da drin, und schon hatte sich der Geruch festgesetzt. Ehe er sich zur Kripo begab, um zu sehen, was die Computer hergeben würden, ging er ins Hotel und zog sich um. Und jagte die verdammte Fliege, die ihn um seinen Schlaf gebracht hatte.
Wenn es hier innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden nicht konkret voranginge, würde er seine Sachen packen und nach Nanterre zurückkehren. Seine Modelleisenbahn fehlte ihm schon jetzt ganz furchtbar.
Kapitel 10
Der Filmrestaurator Claude Poignet wohnte in der Rue Gambetta, einer quirligen Geschäftsstraße mit einem bunt gemischten Warenangebot. Auf der einen Seite mündete die Straße auf die Hallen des Wazemmes-Markts, bevölkert von den verschiedensten Ethnien, auf der anderen in das Studentenviertel zwischen der Rue Solférino und Vauban. Der Siebzigjährige, der in einem kleinen Häuschen, eingezwängt zwischen einem chinesischen Restaurant und einem Tabakladen, lebte, war ein unscheinbarer Mann. Brille mit braunem Gestell, alter bordeauxroter Wollpullover mit V-Ausschnitt, schlecht gebügeltes kariertes Hemd. War er wirklich ein Restaurator alter Filme oder nur ein alter Filmrestaurator?
» Ich würde sagen, alter Restaurator alter Filme. Ich habe vor zehn Jahren wegen meiner Augen aufgehört. Sie nehmen das Licht nicht mehr auf wie früher. Und der Film, das ist ja vor allem Licht. Kein Licht, kein Film.«
Lucie folgte ihm durch den Altbau, der mit seinen zementierten
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