Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Ludovic wegen dieses Films in der Psychiatrie liegt. Irgendetwas muss mir entgangen sein. Ich muss mir alles noch einmal genau ansehen. Jedes Detail. Aber das dauert Tage…«
Lucie vermochte das Bild der verstümmelten Frau nicht zu vertreiben. Das große schwarze Auge, wie eine Wunde auf ihrem Leib. Vielleicht war das der Beweis für einen Mord. Selbst wenn die Sache über fünfzig Jahre zurücklag, wollte sie sicher sein. Oder zumindest begreifen.
» Wie kann man diese Frau finden?«
Die Frage schien Poignet nicht zu verwundern. Da er ständig mit vergessenen oder anonymen Filmen zu tun hatte, waren ihm solche Recherchen vertraut.
» Ich denke, wir müssen in Frankreich suchen. Sie trägt ein Chanel-Kostüm, das Modell von 1954, das heißt, ein Jahr vor der Entwicklung des Films. Meine Mutter hatte das gleiche.«
In Frankreich gedreht, in Kanada entwickelt? Oder aber die » Schauspielerin«, wenn es sich denn wirklich um eine solche handelte, war dorthin gereist. Warum? Wie hatte man sie dazu gebracht, in einem so perversen Kurzfilm mitzuspielen? Auf alle Fälle ein neues Element.
» Üppiger Busen, wohlgeformte Hüften, das war die Zeit der Bardot, als die Regisseure endlich wagten, die Frauen vor die Kamera zu holen. Das Gesicht sagt mir nichts, aber ich kann Kontakt zu einem Filmhistoriker, Spezialist der Fünfzigerjahre, aufnehmen. Er hat Zugang zu allen Archiven und Kinematheken des Landes. Das Erotik- oder Pornomilieu war zu jener Zeit sehr begrenzt und unterlag einer strikten Zensur, dennoch gab es entsprechende Kreise. Wenn es sich bei dieser Frau um eine Schauspielerin handelt, die auch in anderen Filmen gespielt hat, wird mein Freund sie finden.«
» Können Sie mir, ausgehend vom Filmmaterial, Fotokopien von den Subliminals machen?«
» Ich kann Ihnen etwas Besseres anbieten, ich werde den Film digitalisieren. Mein Sechzehn-Millimeter-Scanner kann bei niedriger Auflösung zweitausend Bilder pro Stunde aufnehmen. Keine Sorge, die Qualität ist trotzdem ausgezeichnet, sofern man den Film nicht auf eine Kinoleinwand projiziert. Wenn ich fertig bin, stelle ich ihn auf den Server, und Sie können ihn sich zu Hause herunterladen.«
Lucie bedankte sich herzlich und legte ihre Visitenkarte in das Körbchen.
» Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas Neues herausgefunden haben.«
Seine Hände umschlossen die ihren.
» Ich tue das für Ludovic. Durch seine Eltern habe ich meine Frau kennengelernt. Sie hieß Marilyn wie die andere…« Er seufzte wehmütig. » Ich möchte wirklich herausfinden, warum ihn dieser verdammte Film blind gemacht hat.«
Als sie wieder auf der Straße stand, sah Lucie auf ihre Uhr. Fast Mittag… Nach diesem Gespräch mit Claude Poignet war ihr ganz flau im Magen. Sie dachte an all die Subliminals, die sie wider Willen in sich aufgenommen hatte. Ohne genau zu wissen, was es war, hatte sie das Gefühl, in ihrem Inneren würde etwas vibrieren. Die Szene mit dem durchschnittenen Augapfel hatte sie schockiert, aber das war ihr wenigstens bewusst, der Rest hingegen… Perverse Schweinereien, die man ihr in den Kopf gesetzt hatte, ohne dass sie sich hätte wehren können.
Wer hatte sich diesen abartigen Film angesehen? Warum war er gedreht worden? Wie Claude Poignet spürte sie, dass der verdammte Streifen noch andere dunkle Geheimnisse barg.
Den Kopf voller Fragen, ging sie zu ihrem Wagen, der auf der Place de la République geparkt war. Bevor sie ihn anließ, zog sie die Anzeige des jungen Szpilman, die ihr Ludovic überlassen hatte, aus der Tasche. Verkaufe alte Filmsammlung, 16mm, 35mm. Stumm- und Ton-, Kurz- und Langfilme ab den dreißiger Jahren. Über 800 Rollen, 500 davon Spionagefilme. Angebot vor Ort abzugeben … Vielleicht wusste der Sohn irgendetwas, es lohnte sich auf jeden Fall, nach Lüttich zu fahren. Aber vorher würde sie ins Krankenhaus gehen, um mit Juliette und ihrer Mutter zu Mittag zu essen. Sofern man das als Mittagessen bezeichnen konnte. Aber man durfte nicht zu anspruchsvoll sein.
Ihre Tochter fehlte ihr entsetzlich.
Kapitel 11
Außer sich riss Sharko die Türen sämtlicher Toilettenkabinen im Kommissariat von Rouen auf, um sich zu vergewissern, dass er allein war. Schweiß rann ihm über die Stirn, die verdammte Sonne knallte auf die Fensterscheiben. Nicht auszuhalten! Mit vor Salz und Zorn brennenden Augen fuhr er herum.
» Lass mich jetzt gefälligst in Ruhe, Eugénie! Ich bringe dir deine Cocktailsauce mit, aber nicht gleich. Ich arbeite, falls dir
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