Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung zum Trotz, von einem gelben Schleier verhangen. Mit ihrem GPS ausgerüstet, fanden Lucie und ihr Chef problemlos zur Universitätsklinik Saint-Luc in einem Vorort der belgischen Hauptstadt. Der Gebäudekomplex mit seiner linearen Architektur, eingebettet in einen bewaldeten Park, vermittelte den Eindruck von Frieden und Stärke. Soweit Kashmareck verstanden hatte, besaß die Klinik neben dem normalen Krankenhausbetrieb eine Forschungsabteilung mit Spitzentechnologie, unter anderem im Bereich Neuromarketing. Im Wesentlichen ging es in dieser Disziplin darum, die Prozesse im menschlichen Gehirn mit dem Konsumverhalten in Zusammenhang zu bringen.
Georges Beckers erwartete die Polizeibeamten in der Abteilung für bildgebende Verfahren im Untergeschoss der Uniklinik. Der kleine pummelige Mann mit dem blonden Bart und den vollen Wangen empfing sie äußerst freundlich. Sofern es überhaupt den Archetypus eines Forschers gab, deutete in seinem Fall nichts darauf hin, dass er eine Koryphäe im Bereich der neuronalen Bildgebung war.
Er erklärte ihnen kurz, dass seine Abteilung die Möglichkeit bot, die Scanner nach dem medizinischen Betrieb gegen Bezahlung zu Werbeanalysen zu benutzen, was in Frankreich strikt verboten war.
Während sie durch die Gänge liefen, kam der Hauptkommissar auf ihren Fall zu sprechen.
» Wann haben Sie Claude Poignet kennengelernt?«
Beckers antwortete mit typisch belgischem Akzent:
» Vor zehn Jahren während eines Kolloquiums, das in Brüssel zum Thema ›Entwicklung des Bildes seit der Aufklärung‹ stattfand. Claude interessierte sich sehr für diese Veränderungen im Laufe der Generationen. Im illustrierten Buch, im Film, in der Fotografie, aber auch in der kollektiven Erinnerung. Ich war aus wissenschaftlichen Gründen dort, er wegen des Films. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Furchtbar, was ihm zugestoßen ist.«
Die beiden Kripobeamten nickten.
» Haben Sie ihn oft getroffen?«
» Vielleicht zwei-, dreimal im Jahr, aber wir hatten regelmäßigen Kontakt per E-Mail und Telefon. Er hat meine Forschungen über das Gehirn mit Interesse verfolgt und mir viel über den Film beigebracht.«
Am Ende des Ganges blieben sie vor einer großen Scheibe stehen. Auf der anderen Seite war in einem weiß gehaltenen Raum eine Art Röhre zu sehen. Davor befand sich auf einem fahrbaren Sockel eine Liege mit einer Vorrichtung, die wohl dazu diente, den Kopf zu fixieren.
» Dieser Scanner für die funktionelle Magnetresonanztomographie, kurz f MRT , ist einer der modernsten überhaupt. Drei-Tesla-Magnetfeld, Gehirndarstellung im Halbsekundentakt, leistungsstarkes System zur statistischen Analyse… Leiden Sie an Klaustrophobie, Herr Hauptkommissar?«
» Nein, warum?«
» In diesem Fall werden Sie sich in den Scanner legen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Kashmarecks Miene verfinsterte sich.
» Wir sind eigentlich wegen des Films gekommen. Am Telefon schien es so, als hätten Sie etwas entdeckt.«
» In der Tat. Aber eine Demonstration ist die beste Erklärung. Das Gerät ist heute Abend frei, nutzen wir also die Gelegenheit. Eine Demonstration in einem f MRT , das ein paar Millionen Euro wert ist, bekommt man nicht jeden Tag geboten.«
Der Mann war ein passionierter Wissenschaftler, der darauf brannte, sein kleines Spielzeug einzusetzen. Kashmareck würde als eine Art Versuchskaninchen dienen und sicherlich die Statistik nähren, auf die die Wissenschaftler so begierig waren. Lucie klopfte ihrem Chef aufmunternd auf die Schulter.
Der Hauptkommissar knurrte, fügte sich aber. Beckers fragte:
» Haben Sie den Film schon gesehen?«
» Ich hatte noch keine Zeit, wir haben ihn gerade erst auf unsere Computer geladen. Aber meine Kollegin hat mir den Inhalt auf der Fahrt beschrieben.«
» Sehr gut, dann haben Sie gleich Gelegenheit, ihn zu sichten. Aber im Scanner. Mein Assistent erwartet Sie. Keine Zahnspange, kein Piercing?«
» Ähm… doch.«
Er warf Lucie einen zögernden Blick zu.
» Da, am Bauchnabel…«
Lucie hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken. Sie wandte sich ab und tat so, als würde sie sich die Geräte anschauen, während der Wissenschaftler fortfuhr:
» Das müssen Sie herausnehmen. Man wird Sie hinlegen und Ihnen eine Brille aufsetzen, die aus zwei gepixelten Bildschirmen besteht. Während der Film gezeigt wird, registrieren die Geräte Ihre Gehirntätigkeit. Bitte sehr…«
Kashmareck seufzte.
»
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