Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Wenn meine Frau das wüsste, meine Güte…«
Der Kommissar ging zu dem Mann im weißen Kittel, der ihn erwartete. Lucie und der Forscher begaben sich in eine Art Schaltzentrale voller Bildschirme, Computer und bunter Knöpfe. Man hätte sich in der Enterprise aus dem Film Star Trek wähnen können. Während Kashmareck auf der Liege installiert wurde, stellte Lucie die Frage, die ihr auf den Lippen brannte.
» Was passiert jetzt?«
» Wir sehen uns den Film gleichzeitig mit ihm an, aber nicht direkt, sondern im Inneren seines Gehirns.«
Die Verwunderung der jungen Frau belustigte Beckers.
» Heutzutage sind wir im Begriff, bedeutende Geheimnisse des Gehirns zu lüften, vor allem was die Wirkung von Bild und Ton betrifft. Der älteste Kartentrick der Welt– der des Hellsehens– kann bald eingemottet werden.«
» Das heißt?«
» Wenn Sie Ihrem Kollegen eine Spielkarte zeigen, während er im Scanner liegt, kann ich Ihnen anhand seiner Gehirnaktivität sagen, welche es ist.«
Unten streckte sich der Hauptkommissar sichtlich verunsichert auf der Liege aus. Der Assistent setzte ihm eine eigenartige Brille mit eckigem Gestell und dunklen Gläsern auf.
» Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Gedanken der Menschen lesen können?«
» Sagen wir, es ist kein Hirngespinst, keine Fantasie mehr. Heute sind wir in der Lage, einfache Gedanken auf den Monitor zu projizieren. Wenn Sie ein besonderes Bild sehen, leuchten im visuellen Cortex Tausende von kleinen Punkten auf, die wir als Voxel bezeichnen, und identifizieren auf einzigartige Weise das entsprechende Bild. Durch komplizierte mathematische Berechnungen können wir jedes Bild einer zerebralen Kartografie zuordnen, die Ergebnisse werden dann in eine Datenbank aufgenommen. So können wir dieses System jederzeit in einem anderen Sinn verwenden: Jeder Voxel-Einheit, die das f MRT visualisiert, entspricht theoretisch ein Bild. Sofern wir dieses in der Datenbank haben, können wir es rekonstruieren und… Ihre Gedanken lesen.«
» Unglaublich.«
» Oh, ja!«, sagte Becker voller Begeisterung.
»Bedauerlicherweise ist die kleinste Einheit– das Voxel– fünfzig Kubikmillimeter groß und enthält bereits fünf Millionen Neuronen. Und trotz der hohen Leistungsfähigkeit unserer Scanner ist es so, als würde man die Luftaufnahme einer Stadt sehen, ohne den Straßenverlauf oder die Architektur der Gebäude erkennen zu können. Aber es ist trotzdem ein riesiger Fortschritt. Vor einigen Jahren hatte ein genialer Wissenschaftler die Idee, Versuchspersonen im Scanner Pepsi oder Coca Cola trinken zu lassen. Als man sie vorher fragte, welches Getränk sie bevorzugen, haben die meisten Coca Cola geantwortet. Doch bei der Blindverkostung hat die Mehrheit dann Pepsi gewählt. Der Scanner hat gezeigt, dass eine Zone im Gehirn, die wir als Putamen bezeichnen, mehr auf Pepsi als auf Coca Cola reagiert. Das Putamen ist das für direkte Genüsse zuständige Zentrum.«
» Die Werbekampagne von Coca Cola bewirkt also, dass die Leute glauben, diese Limonade würde ihnen besser schmecken, während der Organismus sich für Pepsi entscheidet?«
» Ganz genau. Die großen Werbefirmen stehen heute Schlange vor unseren Scannern. Dank des Neuromarketings lassen sich Vorliebe, Werbewirksamkeit und der Memorisierungseffekt steigern. Es ist uns gelungen, die Bereiche des Gehirns herauszuarbeiten, die am Kaufprozess beteiligt sind. Selbst wenn unsere Augen oder Ohren der Werbung nicht bewusst Beachtung schenken, wird sie so ausgelegt sein, dass unser Kaufverhalten stimuliert wird.«
» Wie grauenvoll!«
» Das ist die Zukunft. Was tun Sie, wenn Sie müde sind? Das Leben wird immer anstrengender und belastender. Sie flüchten sich nach Hause vor den Bildschirm und entspannen sich. Sie öffnen Ihr Gehirn den Bildern, während Ihr Bewusstsein weniger wachsam, ja, fast eingeschlafen ist. Und in diesem Moment sind Sie das perfekte Ziel, denn man kann Ihnen in den Kopf setzen, was man will.«
Das war zugleich verblüffend und erschreckend. Eine Welt, regiert von Bildern, die ohne jeden intellektuellen Filter direkt Einfluss auf das Gehirn ausüben konnten.
» Ich irre mich also nicht, wenn ich sage, dass ein Bild einen Abdruck im Gehirn hinterlassen kann?«
» Genauso ist es. Sie haben die Grundlage unserer Arbeit verstanden. Sie studieren digitale Fingerabdrücke und wir die zerebralen Abdrücke. Jeder Vorgang, was auch immer es sein mag, hinterlässt eine Spur. Man muss sie nur erkennen
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