Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
gefolgt?«
» Nein.«
» Dies ist der einzige Ort, wo wir in Ruhe reden können. Die Polizei kommt nie hierher. Einige der Gäste sind bedeutende Geschäftsleute, die das ganze Viertel beherrschen. Jetzt, da die Bullen wissen, dass wir uns auf der Terrasse getroffen haben, werden sie mich überwachen. Ich habe das Haus über die Dächer verlassen.«
» Warum sollten sie Sie überwachen? Und warum überwachen sie mich?«
» Um zu verhindern, dass Sie Ihre Nase in Angelegenheiten stecken, die Sie– nach deren Meinung– nichts angehen. Geben Sie mir die Nachricht zurück, die ich Ihnen vorhin zugesteckt habe. Ich will keine Spur unserer Begegnung hinterlassen.«
Sharko gehorchte und deutete mit dem Kopf auf die Gestalten im Halbdunkel.
» Und die Leute hier? Sie sehen uns auch miteinander sprechen.«
» Hier leben wir außerhalb des Gesetzes und der gesellschaftlichen Normen. Wir kennen uns unter Frauennamen, wir haben unsere eigenen Codes und unsere Sprache. Das einzige Ziel dieser Treffen ist das Wasla, die homosexuelle Beziehung zwischen den Koudiana, den Unterworfenen, und den Barghal, den Beherrschenden. Wir würden, was auch immer geschieht, stets abstreiten, einen von uns hier gesehen zu haben. Das ist die Regel.«
Sharko hatte immer mehr den Eindruck, in die unbekannte und geheime Unterwelt der Stadt einzutauchen.
» Erklären Sie mir genauer, warum Sie nach Ägypten gekommen sind«, sagte Atef.
Darauf bedacht, keine vertraulichen Informationen preiszugeben, fasste Sharko den Fall in groben Zügen zusammen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, erzählte er von den in Frankreich gefundenen Leichen, den Parallelen des Modus Operandi mit den jungen ägyptischen Opfern sowie vom Telegramm seines verstorbenen Bruders. Atefs Miene hatte sich verfinstert, und sein Blick umwölkte sich.
» Glauben Sie wirklich, dass es zwischen den beiden Geschichten, die zeitlich und räumlich so weit auseinanderliegen, einen Zusammenhang gibt? Welche Beweise haben Sie?«
» Ich kann Ihnen nichts weiter sagen. Aber ich spüre, dass man mir etwas verheimlicht, dass in der Akte Papiere fehlen. Und mir sind die Hände gebunden.«
» Wann fahren Sie zurück?«
» Morgen Abend… Aber ich schwöre Ihnen, wenn es sein muss, komme ich als Tourist zurück. Ich werde die Familien dieser armen Mädchen finden und befragen.«
» Sie verrennen sich. Warum interessiert Sie das Schicksal von irgendwelchen erbärmlichen Ägypterinnen, die schon so lange tot sind?«
» Weil ich Polizist bin. Weil die Zeit, die vergeht, nicht das Grauen des Verbrechens auslöschen darf.«
» Schöne Worte eines Rächers…«
» Ich bin Vater und Ehemann. Und ich gehe den Dingen gerne auf den Grund.«
Die Kellnerin brachte zwei Bier ausländischer Marke und warme Mezze. Atef forderte Sharko auf, sich zu bedienen, und erklärte leise:
» Ihnen sind die Hände gebunden, weil das gesamte ägyptische Polizeisystem korrupt ist. Die rekrutieren Arme und Ungebildete, die zumeist vom Land oder aus Oberägypten kommen, da diese sich nicht dem System widersetzen. Man zahlt ihnen ein Gehalt, das kaum zum Überleben reicht, damit auch sie sich bestechen lassen. Sie beschaffen gegen Geld falsche Papiere, erpressen die Taxifahrer und Restaurantbesitzer, indem sie damit drohen, ihnen die Lizenz zu entziehen. Von Kairo bis Assuan weiß man von der Gewalttätigkeit der Polizei. Noch vor wenigen Jahren war Homosexualität strafbar. Sie können mir glauben, dass wir in den Kerkern gelitten haben. Mit weniger als dreihundert Pfund im Monat, das sind in Ihrer Währung etwa dreißig Euro, sind sie gezwungen, sich zu integrieren. Mehr als die Hälfte der Polizisten wissen nicht, wofür sie sich einsetzen. Man sagt ihnen, sie sollen unterdrücken, also unterdrücken sie. Aber mein Bruder war anders. Er vertrat die Werte der Menschen der Wüste. Stolz und Respekt.«
Atef zog eine Fotografie aus seiner Brieftasche und reichte sie Sharko. Sie zeigte einen kräftigen jungen Mann in Uniform, der die wilde Schönheit der Wüstenvölker ausstrahlte.
» Vor seiner Bewerbung hatte er sich in einem Jugendzentrum von Abdine für das Muskeltraining eingeschrieben, um die Sportprüfung der Polizeischule zu bestehen. Er hat ein gutes Abitur gemacht. Er war ein herausragender Kopf. Er war niemals ein Extremist, mit diesem Pack hatte er nichts zu tun. Das war eine gefälschte Geschichte, um ihn verschwinden zu lassen.«
Sharko legte das Foto vorsichtig auf den Tisch.
» Sie meinen, eine
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