Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
versammelt hatten, der intern als » Todesstreifen« betitelt wurde. Man hatte den Film soeben in beiden Versionen gezeigt. Zuerst die » offizielle« Version, dann die Version » Kinder und Kaninchen«. Anschließend die Aufnahmen mit den subliminalen, nun hervorgehobenen Bildern: die nackte Frau, später verstümmelt, mit dem großen schwarzen Auge auf dem Bauch.
Die gute Laune, die üblicherweise, vor allem in den Sommermonaten, in den Teams herrschte, war rasch verflogen. Seufzer, Getuschel, verschlossene Mienen. Jeder schätzte die Komplexität des Falls, die Perversität der Mörder ein und gab seine Kommentare dazu ab. Dann ergriff Hauptkommissar Kashmareck erneut das Wort:
» Wir sind im Besitz einer digitalisierten Kopie dieses Films, was die Mörder nicht wissen. Ich bitte Sie daher, diese Information für sich zu behalten. Diese Typen haben getötet, um an den Film heranzukommen, was bedeutet, dass sein verborgener Inhalt uns zwangsläufig irgendwohin führen wird. Gibt es Ergänzungen zu dem, was wir soeben gesehen haben?«
Lebhaftes Stimmengewirr erfüllte daraufhin den Raum. Zwischen allen Kommentaren, die von » Das ist einfach ekelhaft!« bis zu » Diese Kinder sind ja völlig durchgeknallt« reichten, gab es keine Anmerkung, die der Aufklärung à la Columbo würdig gewesen wäre. Kashmareck bereitete dem ziellosen Geschwätz daher ein Ende.
» Zwei wichtige Dinge. Primo arbeiten wir mit einem Filmhistoriker, Spezialist der Fünfzigerjahre, mit dem das Opfer Claude Poignet ebenfalls Kontakt aufgenommen hatte. Der Mann hatte den Auftrag des alten Restaurators beiseitegelegt, als er jedoch von dessen Tod erfuhr, hat er sich sofort an die Arbeit gemacht und versucht, die Identität der Schauspielerin herauszufinden. Wir können nur hoffen. Wir werden unsererseits Fotokopien vom Bild dieser Schauspielerin anfertigen, die ich vorerst weiterhin ›Schauspielerin‹ nennen möchte, und an alle Filmforschungszentren verschicken, man weiß ja nie. Secundo werde ich gleich eine ehemalige Expertin für Psychomorphologie hereinholen, die sich inzwischen auf das Lippenlesen spezialisiert hat. Sie kann Stummfilme zum Sprechen bringen und wird uns jedes noch so kleine Wörtchen niederschreiben, das über die Lippen des Mädchens gekommen ist. Madelin, haben Sie mit Kodak und dem kanadischen Labor Kontakt aufgenommen, das den Film hergestellt hat?«
Der junge Streber öffnete seufzend sein Notizbuch.
» Das Labor gibt es nicht mehr, dort steht heute ein McDonald’s. Aber ich konnte die ehemaligen Besitzer ausfindig machen. Sie sind verstorben.«
» Okay. Morel, Sie werden den Sohn von Szpilman kontaktieren, ihn in unser Büro vorladen und versuchen, ein Phantombild des Typen mit den Rangers zu erstellen, der bei ihm aufgekreuzt ist. Crombez, Sie machen den Kriminaltechnikern Dampf, damit wir die Ergebnisse der DNA -Analyse und den Rest bekommen. Ansonsten… haben wir den internationalen Durchsuchungsbeschluss– um vierzehn Uhr zusammen mit den Belgiern bei Szpilman. Jemand muss dorthin. Henebelle, übernehmen Sie das?«
» Okay, ich bin anscheinend auf Belgien abonniert. Hat man im zentralen Filmarchiv nachgefragt, woher der Todesstreifen stammte?«
» Die Anfrage läuft.«
Lucie deutete mit dem Kinn in Richtung Madelin.
» Was haben die Telefonnummern des kanadischen Mister X ergeben?«
» Ich habe mich erneut mit der Sicherheitspolizei in Verbindung gesetzt, um Informationen zu erhalten. Die erste der beiden Nummern, die du mir gegeben hast, war die einer öffentlichen Telefonzelle im Stadtzentrum, und die Handynummer führt zu einem Namen und einer Adresse, die es gar nicht gibt.«
Lucie nickte. Mister X hatte ein beispielloses Misstrauen an den Tag gelegt. Kashmareck, der nervös mit einer Zigarette spielte, ergriff wieder das Wort:
» Ich habe morgen Vormittag in Paris eine Besprechung mit den hohen Tieren der Polizei. Péresse aus Rouen, Leclerc vom OCRVP und Sharko, einem Profiler.«
Sharko… Lucie presste die Lippen aufeinander. Er hatte sie nicht zurückgerufen.
» Gibt es Neuigkeiten aus Ägypten?«, fragte sie.
» Momentan nicht, dieser Sharko hat wahrscheinlich auf seiner Reise nichts herausgefunden. Aber ich würde morgen schon gerne etwas zu erzählen haben. Nach dem Vortrag unserer Spezialistin für das Lippenlesen, Caroline Caffey, machen wir uns alle an die Arbeit.«
Kashmareck ging hinaus und kam gleich darauf mit einer Frau zurück, die die Männeraugen zum Leuchten brachte.
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