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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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am Schuhputzautomaten und an einer Reihe von Schließfächern. Einer der Männer (kurzgewachsen, mit einem viereckigen Kopf und dichten, stummelartigen blonden Haaren) klatschte mit einer Hand gegen das Schloß eines Schließfachs, um es zu öffnen. Er zog ein klobiges Paket heraus und schob es unter den Arm. Quer durch die ganze Station lief er auf den Herren-Waschraum zu. Die Stimme sagte zu Mondschein: „Warten Sie dreißig Sekunden und folgen Sie ihm dann.“
    Der Altardiener tat so, als würde er den Informationsticker bewundern. Seine momentane mißliche Lage war nicht dazu angetan, ihn sonderlich zu erheitern, aber er dachte sich auch, daß es sinnlos sei, sich dagegen zu wehren, wobei er möglicherweise zu Schaden käme. Als die dreißig Sekunden vorüber waren, setzte er sich in Richtung Waschraum in Bewegung. Der Schirm entschied, daß er über alle männlichen Merkmale verfügte, und das Signal TRETEN SIE EIN leuchtete auf. Mondschein ging in den Waschraum.
    „Dritte Kabine“, murmelte die Stimme.
    Der blonde Mann war nicht mehr zu sehen. Mondschein trat in die Kabine und fand dort auf dem Sitz aufgebaut das Paket aus dem Schließfach. Auf eine weitere Anweisung hin hob er es auf und lockerte die Schnüre. Die Verpackung fiel runter. Mondschein mußte feststellen, daß er die grüne Robe eines Harmonisten-Bruders in Händen hielt.
    Die Häretiker? Was um alles in der Welt …
    „Ziehen Sie das an, Mondschein.“
    „Das kann ich nicht. Wenn mich einer darin sieht …“
    „Das wird nicht geschehen. Ziehen Sie sie an. Wir passen schon auf Ihre Robe auf, bis Sie wiederkommen.“
    Er kam sich vor wie eine Marionette. Er befreite sich aus seiner Robe, hängte sie an einen Haken und schlüpfte in die wenig vertraute neue Uniform. Sie saß ganz ordentlich. An der Innenseite war etwas befestigt: eine thermoplastische Maske, wie Mondschein feststellte. Darüber war er sehr froh. Er faltete sie auseinander, preßte sie gegen das Gesicht und hielt sie dort so lange fest, bis sie einen Halt gefunden hatte.
    Sorgfältig legte Mondschein seine eigene Robe in das Verpackungspapier und faltete es zusammen.
    „Lassen Sie sie auf dem Sitz zurück“, wurde ihm erklärt.
    „Das wage ich nicht. Wenn sie verlorengeht – wie soll ich das je erklären können?“
    „Sie wird schon nicht verlorengehen, Mondschein. Jetzt aber ein bißchen Tempo. Der Schnellgleiter fährt gleich ab.“
    Unglücklich verließ Mondschein die Zelle. Er warf einen Blick in den Spiegel. Sein Gesicht, das normalerweise rundlich war, sah jetzt feist aus: dicke Wangen voller Stoppeln, feuchte, plumpe Lippen und unnatürlich dunkle Ringe unter den Augen, so als hätte er eine Woche lang Orgien gefeiert. Auch die grüne Robe wirkte merkwürdig. Mit dieser Häretikeruniform am Leib fühlte er sich seiner eigenen Organisation näher als je zuvor.
    Die schlanke Frau trat auf ihn zu, als er den Wartesaal betrat. Ihre Wangenknochen wirkten wie Klingen von Beilen, und ihre Lider waren operativ durch Klappen aus feiner Platinfolie ersetzt worden; die überkommene Maske einer früheren Generation. Mondschein konnte sich noch an seine Mutter erinnern, wie sie aus einem Salon für kosmetische Chirurgie gekommen war; ihr Gesicht war in eine groteske Fratze verwandelt worden. Heutzutage tat so etwas keiner mehr. Diese Frau mußte mindestens vierzig sein, dachte Mondschein, obwohl sie viel jünger aussah.
    „Ewige Harmonie, Bruder“, sagte sie mit rauchiger Stimme.
    Mondschein suchte krampfhaft nach der richtigen Harmonistenantwort. Er improvisierte schließlich: „Möge die Einigkeit auf dich hinablächeln.“
    „Danke für Ihren Segen. Um die Fahrkarte habe ich mich gekümmert, Bruder. Wollen Sie bitte mit mir kommen?“
    Sie war also seine Führerin, begriff Mondschein. Er hatte den Sender mit seiner Robe abgelegt. Unruhig hoffte er, seine Kleidung so bald wie möglich wiederzusehen. Er folgte der schlanken Frau zur Einstiegsplattform. Sie konnten ihn Gott weiß wohin verschleppen – Chikago, Honolulu, Montreal …
    Der Schnellgleiter funkelte im Flutlicht der Station: anmutig, elegant und mit einer hochpolierten, bläulich-grünen Hülle. Als sie einstiegen, fragte Mondschein die Frau: „Wohin fahren wir?“
    „Rom“, sagte sie.

 
3
     
     
     
    Mondscheins Augen wurden immer größer, während die antiken und klassizistischen Monumente an ihm vorbeirauschten: das Forum, das Kolosseum, das Theater des Marcellus, das prunkhafte

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