Öffnet den Himmel
Viktor-Emmanuel-Monument, die Mussolini-Säule – ihre Fahrtroute führte sie mitten durch das Herz dieser geschichtsträchtigen Stadt. Mondschein sah auch das blaue Glühen einer Vorster-Kirche, als sie über die Via dei Fori Imperiali brausten, und das wollte ihm in dieser Hauptstadt einer viel älteren Religion als grob unpassend erscheinen. Doch die Bruderschaft hatte hier eine ziemlich solide Grundlage gewonnen. Sobald Papst Gregor XVIII. auf dem Balkon des Petersdoms erschien, schaffte er es immer noch, Hunderttausende jubelnder Römer zusammenströmen zu lassen. Aber sobald sie den Papst gesehen hatten, verließen sie den Platz wieder, um die nächste Kirche der Bruderschaft aufzusuchen.
Offensichtlich begannen auch die Harmonisten, hier Fuß zu fassen, sinnierte Mondschein. Aber er wahrte seine äußerliche Ruhe, während der Gleiter in nördlicher Richtung stadtauswärts fuhr.
„Das ist die Via Flaminia“, erklärte seine Führerin. „Man folgte der alten Straßenführung, als der elektronische Straßengrund installiert wurde. Man pflegt hier ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein.“
„Das glaube ich gern“, sagte Mondschein erschöpft. Mittlerweile war schon der halbe Abend vorbei, und er hatte bis auf einen kurzen Imbiß im Schnellgleiter noch nichts gegessen. Nach neunzigminütiger Reise war er in Rom am Nachmittag vor der Dämmerung ausgeladen worden. Ein winterhafter Nebel lag über der Stadt; der Frühling ließ sich in diesem Jahr Zeit. Mondscheins Gesichtshaut juckte wie verrückt unter der Maske. Die Angst fröstelte in seinen Fingern.
Sie hielten vor einem mausgrauen Backsteinhaus irgendwo Dutzende Meilen nördlich von Rom. Mondschein zitterte, als er sich beeilte, hineinzukommen. Die Frau mit den Platinlidern führte ihn einige Stufen hoch bis zu einem warmen, hell erleuchteten Raum, in dem sich drei Männer in Harmonistenroben befanden. Das war der endgültige Beweis, dachte Mondschein: Ich befinde mich in der Löwenhöhle der Häretiker.
Sie stellten sich nicht vor. Einer war klein und stämmig, mit einem blassen Gesicht und einer riesigen Nase. Ein anderer war groß und geisterhaft dürr; seine Arme und Beine sahen aus wie Spinnenbeine. Der dritte wirkte unauffällig, mit blasser Hautfarbe und engen, sanften Augen. Der Stämmige war der älteste und offensichtlich der Chef.
Ohne Vorrede sagte er: „Man hat Sie also abgelehnt, nicht wahr?“
„Woher …“
„Kümmern Sie sich nicht darum. Wir haben Sie beobachtet, Mondschein. Wir hofften, Sie würden es schaffen. Wir brauchen genauso dringend einen Verbindungsmann in Santa Fe, wie Sie gerne dorthin möchten.“
„Sind Sie Harmonisten?“
„Ja. Wie wär’s mit einem Gläschen Wein, Mondschein?“
Der Altardiener zuckte die Achseln. Der lange Häretiker machte ein Handzeichen, und die schlanke Frau, die sich noch immer im Raum befand, brachte eine Flasche mit goldfarbenem Wein. Mondschein dachte daran, daß in dem Wein sicher Drogen waren. Das Getränk war kühl und leicht süßlich wie ein mitteltrockener Graves. Die anderen tranken auch ein Glas.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte Mondschein.
„Ihre Hilfe“, sagte der Stämmige. „Ein Krieg findet gerade statt, und wir möchten, daß Sie sich auf unsere Seite schlagen.“
„Ich weiß nichts von einem Krieg.“
„Ein Krieg zwischen dem Dunkel und dem Licht“, sagte der lange Häretiker in mildem Tonfall. „Wir sind die Streiter des Lichts. Halten Sie uns aber nicht für Fanatiker, Mondschein. Eigentlich sind wir ziemlich verantwortungsbewußte Menschen.“
„Vielleicht ist Ihnen bekannt“, sagte der dritte Harmonist, „daß unser Glauben aus dem Ihren entstanden ist. Wir achten die Lehren Vorsts, und wir folgen ihm in den meisten Punkten. Und im Grunde genommen betrachten wir uns als seinen Lehren näherstehender als die gegenwärtige Hierarchie der Bruderschaft. Wir sind die Kraft der Läuterung. Jede Religion braucht ihre Reformer.“
Mondschein nahm einen kleinen Schluck von seinem goldfarbenem Wein.
Er gestattete seinen Augen, maliziös zu blinzeln, als er bemerkte: „Gewöhnlich dauert es an die tausend Jahre, ehe die ersten Reformer auftreten. Heute schreiben wir das Jahr 2095. Die Bruderschaft ist erst knapp dreißig Jahre alt.“
Der stämmige Häretiker nickte. „Unsere Zeit läuft aber auch viel schneller ab. Die Christen brauchten dreihundert Jahre, um die politische Kontrolle über Rom zu gewinnen *
von den Zeiten des Augustus bis zu
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