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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zur Erreichung seiner Ziele zwingend notwendig waren. Lag seiner Aufgabe etwa Paranoia zugrunde, ein bißchen Hitler, eine Spur Napoleon, eine Kleinigkeit Dschingis Khan? Vielleicht. Vorst gefiel sich darin, sich selbst als Fanatiker oder gar als Größenwahnsinnigen anzusehen – aber als einen nüchternen, logisch denkenden Größenwahnsinnigen, dem auch noch Erfolg beschieden war. Er hatte sich fest vorgenommen, sich von keinem Hindernis bei der Erreichung seiner Ziele aufhalten zu lassen. Und er konnte genügend weit in die Zukunft sehen, um zu wissen, daß er sie erreichen würde.
    Er sagte: „Man lädt eine große Verantwortung auf sich, wenn man auszieht, die Welt zu verändern. Man muß schon ein wenig verrückt sein, um es überhaupt zu versuchen oder selbst daran zu denken, daß man es versuchen sollte. Doch gleichzeitig hilft die Verrücktheit einem auch zu erkennen, wie alles ausgehen wird. Und man kommt sich nicht mehr so idiotisch vor, wenn man weiß, daß man nur das Unvermeidliche ausführt.“
    „Das nimmt dem Leben allerdings die Herausforderung“, sagte die Esperin.
    „Ach, Delphine, Sie legen den Finger auf eine klaffende Wunde! Aber natürlich wissen Sie darüber Bescheid. Wie schrecklich ist es doch, sein eigenes Schicksal vor sich ablaufen zu sehen, zu wissen, was einen erwartet. Zumindest wurde mir die Gnade des Unwissens in weniger wichtigen Angelegenheiten zuteil. Ich selbst kann auch nicht sehr gut in die Zeit sehen; deshalb muß ich mich Zeitschwimmern wie Ihnen anschließen, dann sind auch meine Visionen klar. Aber Sie können klar sehen, nicht wahr, Delphine? Sie sind auch schon an Ihrer persönlichen Zeitlinie entlanggeschwommen. Haben Sie schon den Zeitpunkt Ihres Ausbrennens ausgemacht, Delphine?“
    Die Wangen der Esperin röteten sich. Sie blickte nach unten und gab keine Antwort.
    „Tut mir leid, Delphine“, sagte Vorst. „Ich hatte kein Recht, das zu fragen. Ich nehme es zurück. Machen Sie sich für mich bereit, Delphine. Zeigen Sie Ihre Fähigkeiten. Nehmen Sie mich mit auf die Reise. Ich habe heute bereits genug geredet.“
    Scheu bereitete sich das Mädchen auf die bevorstehende Anstrengung vor. Vorst wußte, daß sie sich besser als alle anderen verankern konnte. Wo die meisten anderen Zeitschwimmer schließlich ihrer Vertäuung entwichen, hatte Delphine ihre Kräfte unter Kontrolle halten können. Damit war sie das geworden, was man eine gereifte, alte Esperin nennen konnte. Natürlich würde auch sie eines Tages ausbrennen, sobald ihre Kräfte erschöpft waren. Aber bis jetzt war sie für Vorst von unschätzbarem Wert gewesen; sie war seine Kristallkugel, die nützlichste von allen Zeitschwimmern, die ihm bislang bei der Bestimmung seines Kurses geholfen hatten. Und wenn sie nur noch einige Zeit lang aushalten könnte, bis er die Route hinter den letzten Hindernissen erkannt hatte, würde die lange Reise zu Ende gehen, und beide konnten sich etwas Ruhe gönnen.
    Sie lockerte ihre Vertäuung in der Gegenwart und begab sich in eine Existenzebene, wo alle Augenblicke im Jetzt zusammenliefen.
    Vorst sah zu. Er wartete, bis die Frau ihn mit auf ihre Zeitreise nahm. Vorst konnte von sich aus nicht in der Zeit schwimmen, aber er konnte bei einem anderen mitreisen. Nebel umgaben ihn, und er trieb unsicher am Zeitstrang entlang, wie er das so oft zuvor schon getan hatte. Er sah sich selbst, hier und da und dort; er sah andere, schattenartige Gestalten, traumhafte Figuren, die hinter den Vorhängen der Zeit lauerten.
    Lazarus? Ja, dort war Lazarus, auch Kirby. Mondschein. Alle waren da, alle Figuren in dem großen Spiel. Vorst sah den Glanz einer Andersartigkeit, sah eine Landschaft, die weder der Erde noch dem Mars noch der Venus angehörte. Er schwankte. Vorst sah zu einem Baum hoch, der zweihundertvierzig Meter hoch war und dessen Wipfel azurblaue Blätter hoch in den bewölkten Himmel streckte. Dann wurde er fortgerissen und in die stinkende Verwirrung einer verregneten Großstadtstraße versetzt. Er stand vor einer seiner ersten Kirchen. Das Gebäude brannte trotz des Regens, und der Gestank von verkohltem, regennassem Holz fuhr ihm unangenehm in die Nase. Und dann lächelte er in das betäubte, ausgedörrte Gesicht von Reynolds Kirby. Und dann …
    Das Gefühl der Bewegung verließ ihn. Er schlüpfte in seine eigene Zeitmatrix zurück und führte dann seinem Körper Adrenalinstöße zu, um sich von den Anstrengungen zu erholen. Die Esperin lag erschöpft in ihrem Stuhl;

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