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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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für einen gefährlichen Wirrkopf halten, den man lieber nicht mehr in seine Nähe ließ. Vee wollte gleichzeitig loyal, romantisch und melodramatisch sein, wie ihre Drehbücher. Bunny hatte es satt und sagte, Dad habe Verne bestimmt schon alles erzählt, gleich damals, als er, Bunny, seinem Vater davon erzählt habe.
    Und so kam es, dass der junge Ölprinz «die geborene Aristokratin» nicht fragte, ob sie ihn heiraten wolle. Nein, er verzog sich und war scheußlich unglücklich, denn immer wenn er von Vee getrennt war, sehnte er sich nach ihr. Trotzdem gerieten sie ständig in die heftigsten Gefühlskrisen, die dann tränenreich überwunden werden mussten. Er sah keine Möglichkeit, diese Scherereien zu umgehen, es sei denn, er sagte sich von der Radikalenbewegung los. Aber es war ganz einfach so, dass ihn intellektuell sonst nichts reizte. Er wollte Paul sehen, mit ihm diskutieren und ihm ein Dutzend neue Einwände gegen die Arbeiterpartei vortragen. Er wollte mit Rachel zu Paul und Ruth gehen und sich die Argumente anhören, die Schlag auf Schlag kämen, wenn Rachel ihre Meinung über den linken Wahnsinn äußerte. Und er wollte zu den Versammlungen der «Ypsels» gehen, der «Young People’s Socialist League» 106 , bei der Rachel seit Kurzem als Schriftführerin amtierte. Hier gab es echte Bildung, hier wollten junge Leute tatsächlich von ihrem Verstand Gebrauch machen und Ideen aufgreifen mit jener Ernsthaftigkeit, die sich andere Studenten für Football und Verbindungspolitik aufhoben.
    5
    Von all den Menschen, die Bunny kannte, schien zurzeit nur ein einziger wirklich erfolgreich und vollkommen glücklich zu sein, und das war Eli Watkins, der Prophet der Dritten Offenbarung. Denn der Herr hatte das Versprechen, das er den Bibelmarathonläufern gegeben hatte, bis aufs i-Tüpfelchen erfüllt; er hatte den bedeutenden Bankier Mark Eisenberg, der sich um die Finanzen von Angel City kümmerte, bewogen, über Elis bedeutenden politischen Einfluss nachzudenken und einen Großteil der Summe für den neuen Tempel zur Verfügung zu stellen. Jetzt war das Gebäude vollendet und wurde zum Ruhme des Herrn mit einer Pracht eingeweiht, wie sie in diesem Teil der Welt noch nicht gesehen ward.
    Südkalifornien ist überwiegend von im Ruhestand lebenden Farmern aus dem Mittleren Westen besiedelt, die hierhergekommen sind, um unter der Sonne und inmitten von Blumen zu sterben. Natürlich wollen sie glücklich sterben und mit der Gewissheit von Sonne und Blumen auch im Jenseits; deshalb ist Angel City der Geburtsort vieler versponnener Sekten und Lehren – man macht sich keinen Begriff, solange man es nicht selbst gesehen hat. Wenn man in den Sonntagszeitungen die Seiten mit den Veranstaltungsinseraten überfliegt, bricht man entweder in Gelächter oder in Tränen aus, je nach Temperament. Wo drei oder mehr im Namen von Jesus, Buddha oder Zarathustra, der Wahrheit, des Lichts oder der Liebe, des neuen Gedankens, des Spiritualismus oder der Lehre vom Übersinnlichen versammelt waren, nahm eine neue Offenbarung ihren Anfang, mit geheimnisvollen Verzückungszuständen und esoterischen Wegen zum Heil.
    Gemessen an den meisten dieser Religionsstifter hatte Eli einige Vorzüge. Erstens hatte er einst als echter Hirte Herden gehütet, und mit diesem Beruf sind seit Urzeiten alte Bräuche verbunden. Außerdem zog er daraus einen symbolischen Nutzen, denn was Eli einst mit den Ziegen gemacht hatte, machte er nun mit den menschlichen Ziegen von Angel City; er trieb sie in den Pferch und beschützte sie vor dem bösen Wolf Satan. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, einen Hirtenstab aufs Podest mitzunehmen, und von dort rief er weiß gewandet und im Sternenglanz seines blonden Haars die Herde herbei, wie er sie in den Bergen gerufen hatte. Und wenn er dann den Klingelbeutel herumgehen ließ, schoren sich die Schafe gleich selbst.
    Eli besaß einen Sinn für dramatische Wirkungen und ließ ihm freien Lauf, indem er primitive lebende Bilder und kleine Szenen ersann, die seine einfältigen Anhänger entzückten. Wenn er erzählte, wie er vom Teufel versucht worden war, kam der Böse mit Pferdehuf, Hörnern und Schwanz und von einem roten Scheinwerfer beleuchtet auf die Bühne, und sobald Eli das Kreuz in die Höhe hielt, warf sich der Teufel in den Staub, die silbernen Trompeten schmetterten, und die Jünger brachen in lautes Hosianna aus. Oder wenn er seinen Hirtenstab hob und befahl: «Lasset die Kindlein zu mir kommen», 107

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