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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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sie in demselben kleinen Häuschen wie letztes Mal. Paul war noch nicht heimgekommen. Er hatte in Chicago wegen einer Parteitagung einen Zwischenstopp eingelegt und reiste nun, allabendlich Reden haltend, über den Nordwesten Richtung Heimat. Seine Veranstaltungen waren gut besucht, denn die Verhaftungen hatten ihn berühmt gemacht. Die Geschichte seiner Abschiebung aus Frankreich hatte in allen Zeitungen gestanden, und Ruth zeigte Bunny Briefe zu diesem Thema und anderen Abenteuern mit Polizisten und Spitzeln. Ruth hatte Paul das Versprechen abgenommen, ihr täglich eine Postkarte zu schreiben, und wenn sie keine erhielt, bildete sie sich sofort ein, dass er in einem Polizeiverlies saß und brutal verhört wurde.
    Bunny musterte sie, während sie sprach. Ihre Worte klangen munter – sie war jetzt eine ausgebildete Krankenschwester, verdiente anständig und konnte etwas zurücklegen, für den Fall, dass Paul in Bedrängnis kommen sollte. Aber sie war blass, und ihr Gesicht wirkte angespannt. Auf dem Tisch lagen kommunistische Zeitungen und Magazine, und Bunny erkannte mit einem Blick, was hier vor sich ging. Diese Zeitungen wurden an Paul geschickt, und Ruth, die Abend für Abend allein hier saß, hatte sie auf der Suche nach Nachrichten über ihren Bruder gelesen und all die Schreckensberichte über Folterungen, Verstümmelungen und Erschießungen politischer Gefangener in sich aufgesogen. Es war genau so, als wäre Paul im Krieg gewesen.
    Ruth hatte nicht das, was man einen theoretischen Verstand nannte; sie sprach nie über Parteitaktik, politische Entwicklungen und dergleichen. Sie war ein Gefühlsmensch, besaß aber ein starkes, leidenschaftliches Klassenbewusstsein. Sie hatte zwei Streiks miterlebt, und was sie da mit eigenen Augen gesehen hatte, genügte ihr als Unterricht im Fach Wirtschaft für alle Zeiten. Sie wusste, dass die Arbeiter in der Großindustrie Lohnsklaven waren und ums schiere Überleben kämpften. Doch dieser Krieg glich nicht den kapitalistischen Kriegen – diesen hier hatten die Arbeitgeber begonnen. Und obwohl Ruth fest an Pauls Arbeit glaubte, lebte sie in ständiger ängstlicher Anspannung.
    Außerdem war sie – seltsam und verwunderlich! – auf Rachel und den «Young Student» böse. Die Sozialisten organisierten offenbar im ganzen Land Veranstaltungen, auf denen ein sogenannter Sozialrevolutionär aus Russland Vorträge hielt und die Inhaftierung seiner Parteigenossen in Russland zum Vorwand für Angriffe gegen die sowjetische Regierung nahm. Dabei hatten die Sozialrevolutionäre das Attentat auf Lenin verübt und mit dem Geld der kapitalistischen Regierungen einen Bürgerkrieg innerhalb Russlands angezettelt. Wie konnte Bunnys Zeitung solche Leute unterstützen?
    Bunny ging wieder zu Rachel und den Ypsels, und diese erklärten ihm, der Mann sei Sozialist und protestiere gegen die Anwendung von Gewalt. Kommunisten hätten auf der hiesigen Versammlung versucht, ihn niederzubrüllen, beinahe sei es zum Kampf gekommen. Und entsetzt sah sich der arme Bunny mit derselben Fehde innerhalb der Bewegung konfrontiert, die ihn in Paris, Berlin und Wien so gequält hatte! Er war von Paul und seinem Bericht über Russland tief beeindruckt gewesen, merkte aber, dass Rachel keinen Zoll von ihrer Haltung abwich. Sie würde zwar das Recht der Russen auf Selbstbestimmung verteidigen, sie würde sich dafür einsetzen, dass die Russen in Amerika Gehör fänden, selbst wenn sich umgekehrt kein Russe für Rachels Rechte einsetzen würde – aber sie wollte nichts mit der Dritten Internationalen zu tun haben und war nicht bereit, über Diktaturen zu reden – es sei denn, es handelte sich um ihre eigene, die dafür sorgte, dass der «Young Student» den Postbehörden oder Bezirksanwälten keinen Vorwand für Razzien lieferte. Nein, sie traten für eine demokratische Lösung des sozialen Problems ein, und wie immer ließ sich Bunny von einer Frau herumkommandieren.
    Wirklich merkwürdig, die weibliche Natur! Die Frauen wirkten so sanft und leicht zu beeindrucken, aber es war die Nachgiebigkeit von Gummi oder von Wasser, das unverändert an die alte Stelle zurückfließt! Von Anfang an – man denke nur an Eunice Hoyt, die unbedingt immer ihren eigenen Kopf hatte durchsetzen wollen! Und selbst wenn er die kleine Rosie Taintor geheiratet hätte, wäre ihm eines Tages klar geworden, dass sie hinsichtlich des Stils der Vorhänge und ihrer regelmäßigen Reinigung feste, peinlich genaue Vorstellungen hatte.

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