Öl!
revolutionäre Propaganda, die jedem Patrioten einen Schauder über den Rücken jagen musste: «Alle Menschen sind frei und gleich geboren», oder noch schrecklicher: «Gebt mir die Freiheit oder gebt mir den Tod!» 66
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An der Southern Pacific University glaubte kaum einer im Ernst, dass die «roten Studenten» für die Bombenexplosion in der Wall Street verantwortlich waren oder sich auch nur als Mitwisser schuldig gemacht hatten. Aber man wusste, dass sich diese Dummköpfe von finsteren Gestalten hatten verleiten lassen, die höchstwahrscheinlich an der Verschwörung beteiligt gewesen oder zumindest ruchlos genug waren, um so etwas zu tun. Ebenso wusste man, dass die Dummköpfe der Universität jede Menge übler Nachrede beschert hatten. Also wurden die Dummköpfe von allen Seiten schikaniert und eingeschüchtert; einer nach dem andern wurde ins Büro des Dekans gerufen und dort auf die Folter gespannt und verhört, nicht nur von Präsident Cowper und Dekan Squirge, sondern auch von verschiedenen gestrengen Herren, Vertretern des Bezirksstaatsanwalts, der städtischen Anklagebehörde, des Geheimdiensts, der patriotischen Presse, der Heimatschutzvereine und des Nachrichtendiensts jenes einstigen Botschafters einer längst nicht mehr existierenden russischen Regierung.
Als Bunny Ross merkte, was hier vorging, kam es zu einer weiteren Eskalation. Als Sohn eines reichen Mannes war er gewohnt, sein Recht zu bekommen – und mehr. So fragte er seinen ersten Inquisitor: «Wer sind Sie, und was führt Sie hierher?»
«Hören Sie, Ross», sagte Dekan Squirge, «wenn böse Menschen das Wohlergehen unseres Landes bedrohen, werden Sie sie doch nicht im Ernst in Schutz nehmen wollen.»
«Das hängt davon ab, was Sie mit ‹ böse › meinen», erwiderte Bunny. «Wenn Sie Menschen meinen, die versuchen, die Wahrheit zu sagen, möchte ich sie nach Kräften in Schutz nehmen.»
«Wir wollen nur wissen, was Sie über einen Mann namens Paul Watkins wissen.»
Das war es also. Entweder musste Bunny sich diesem Kreuzverhör der Kriminalbeamten stellen oder alle Welt in ihrer Auffassung bestärken, dass er dunkle Geheimnisse über Paul wusste, die er nicht preisgab. So sagte er: «Paul Watkins ist mein bester Freund. Ich kenne ihn seit sieben oder acht Jahren. Er ist der anständigste Mensch, den ich kenne. Er ist nach eineinhalb Jahren als Soldat krank aus Sibirien nach Hause gekommen. Er könnte von der Regierung eine Rente fordern, wäre er nicht zu stolz dazu. Mir hat er nur erzählt, was er mit eigenen Augen gesehen hat, und ich glaube ihm jedes Wort. Und ich werde es anderen weitererzählen, innerhalb und außerhalb der Universität, und niemand wird mich daran hindern.»
Damit war die Sache erledigt, und Bunny konnte vorläufig gehen. Sie würden nun die weniger begüterten Verschwörer zur Rede stellen, angefangen mit Peter Nagle, dem Hauptschuldigen, der als Herausgeber der Zeitung firmierte. Peter wurde unverzüglich aufgefordert, seine Taktlosigkeiten gegenüber Gott zu widerrufen, und er schwor bei Gott, dass er dies nicht tun werde; daraufhin brachte der «Evening Howler» eine Schlagzeile über zwei Spalten hinweg:
ROTER STUDENT GEFEUERT
Peter grinste und riet den anderen, sich nicht zu grämen; als künftiger Installateur werde er sich schon an der Gesellschaft rächen, und wenn er etwas Geld verdient habe, werde er eine eigene Zeitung herausbringen und sich jede Woche über Gott lustig machen.
Dann kam Rachel Menzies dran. Bunny hatte sie vor den Geheimpolizisten gewarnt, und sie hatte versprochen, ihnen ihre Meinung zu sagen, aber die Herren wussten, wie sie ihr den Schneid abkaufen konnten. Welchen Anteil denn ihr Vater an dieser Verschwörung habe? Sie hatten herausbekommen, dass Papa Menzies in Polen geboren war, und nach den neuen Abschiebegesetzen war es gleichgültig, was einer glaubte oder getan hatte, man würde seine Einbürgerungsurkunde annullieren, ihn schnappen und ausweisen, und seine Familie blieb da und durfte gegebenenfalls verhungern. Es gab keinerlei Gerichtsverfahren und Regressanspruch. Und überdies – wenn heutzutage ein Mann, der als Roter abgestempelt war, nach Polen geschickt wurde, gab es auch dort kein Gerichtsverfahren und keine Fragen, er wurde einfach an die Wand gestellt und erschossen.
So kam es, dass Rachel vor diesen Fremden in Tränen ausbrach und erklärte, ihr Vater sei Sozialist, kein Kommunist – als ob dies für einen Patrioten einen Unterschied machte! Waren die
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