Öl!
in Polen, Finnland oder Rumänien lebten, wären Sie und ihr kleiner Trupp schon vor einer Woche in einem schlammigen Loch verscharrt worden.»
KAPITEL 12
Die Sirene
1
Es war wieder Frühling geworden, und Bunnys zweites Jahr an der Southern Pacific ging dem Ende zu. Aber die berühmte Anstalt hatte den Reiz des Neuen verloren, er schätzte sie nicht mehr so ein, wie sie selbst sich sah. Der Unterricht war langweilig, die Dozenten vermittelten einem haufenweise überflüssiges Faktenwissen und fürchteten sich vor neuen, eigenständigen Gedanken. Nur eins nahm er mit: Hinweise auf lesenswerte Bücher, aber lesen konnte man besser zu Hause. Er überlegte, ob er nächstes Jahr überhaupt noch weitermachen sollte.
In Paradise schien es ungezwungener zuzugehen. Paul arbeitete erneut als Zimmerermeister für das Unternehmen; er war wieder einigermaßen zu Kräften gekommen und verdiente ordentlich. Bauarbeiter waren rar, denn das Land wollte nun alle durch den Krieg unterbliebenen Baumaßnahmen nachholen. Ruth war glücklich; mindestens drei Ölarbeiter waren in sie verliebt, aber sie hatte nur ihren wunderbaren Bruder im Kopf. Paul begann wieder zu lesen, aber keine Biologiebücher mehr; jetzt gab er sein ganzes Geld für Zeitschriften, Broschüren und Bücher aus, die sich mit dem Arbeitskampf beschäftigten. In der Firma gab es eine Menge ehemalige Soldaten, von denen so mancher dieselbe Einstellung zum Krieg hatte wie Paul; zweimal wöchentlich veranstalteten sie Kurse, lasen ein Kapitel aus einem Buch vor und diskutierten darüber.
So wurde die Rascum-Hütte zu einem «Bolschewikennest», wie die Zeitungen aus Angel City so etwas nannten. Auch wenn die Arbeiter über die Taktik verschiedener Ansicht waren, einte sie doch die These, dass Kapital und Arbeit nichts miteinander gemein hatten als den Kampf. Und sie hielten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg; sie zettelten Streitgespräche während der Arbeit oder in der Mittagspause an, und die Echos hiervon breiteten sich in alle Richtungen aus. Auch Wobblies gab es auf dem Gelände, ihre Schriften lagen in den Schlafbaracken aus. Dad wusste bestimmt davon, aber er unternahm nichts; seine Männer hatten immer ihre Meinung sagen dürfen; er ließ es darauf ankommen. Recht viel mehr konnte er auch nicht tun, wo doch jeder Mann vor Ort wusste, dass der Entdecker und rechtmäßige Erbe des Geländes ein ganz besonders «Roter» war!
Seit dem Krieg wurde die Gewerkschaft der Ölarbeiter offiziell anerkannt und so behandelt, wie die Regierung es verfügt hatte. Doch jetzt erschlaffte Uncle Sams Griff; der idealistische Präsident in Washington war ein halber Invalide, und die Open-shop -Clique in Angel City gedachte die guten alten Sitten wieder einzuführen. Zumindest ging dieses Gerücht unter den Gewerkschaftsfunktionären um. Wie sollten sie die Schachzüge der Unternehmer parieren? Die Lohnabkommen liefen Ende dieses Jahres aus, und sämtliche Diskussionen der Ölarbeiter, die der «Roten» in Pauls Hütte genauso wie die der Leute an der Basis, mündeten in dieses Thema. Wie ein schwarzer Schicksalsschatten schwebte die Erwartung eines weiteren Streiks über Bunnys Haupt.
Dad gab die Hoffnung nicht auf, dass sich sein Sohn für die Firma und ihre Expansionsbestrebungen interessierte. Und Bunny, der sich dieser liebenden Fessel immer bewusst war, studierte monatliche Förderberichte, Abrechnungsbogen und Preislisten, ging hinaus zu den Bohrstellen und nahm an langen Besprechungen mit den Vorarbeitern teil. Noch vor ein paar Jahren war ein Bohrloch für ihn die aufregendste Sache der Welt gewesen; heute aber hatte der grausame Lauf der Dinge dazu geführt, dass ein Loch wie das andere aussah. Nummer 142 hatte sechshunderttausend Dollar eingebracht, Nummer 143 hingegen nur vierhundertfünfzigtausend. Aber was bedeutete das schon, wenn man mit den überschüssigen hundertfünfzigtausend doch nur wieder ein neues Loch bohrte?
Dad hatte die Antwort auf Lager: «Die Welt braucht Öl.» Wenn man sich aber die Welt ansah, erblickte man nur riesige Menschenmassen, die an Orte fuhren, wo es ihnen keineswegs besser ging als zu Hause! Doch wenn man dies aussprach, wurde Dad ärgerlich, denn man wich von seiner Denkweise ab. Er kam Bunny jetzt vor wie ein altes Pferd in einer Tretmühle; er trottete und trottete den ganzen Tag dahin, und nachts trottete er auch noch im Traum weiter. Wenn man ihn aus dieser Mühle rausließe, würde er sterben, weil ihm der Lebenszweck
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