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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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nacheifern wollten, und in solche, die es nicht wollten; die Anarchisten waren auf die gleiche Weise zersplittert und die Wobblies ebenso; selbst die alten Gewerkschaftsführer spalteten sich auf in eine Fraktion, die die Sowjetregierung in Ruhe lassen wollte, und eine andere, die den Kapitalisten helfen wollte, sie niederzumachen!
    Für Bunny personifizierte sich dieser Kampf in der Familie Menzies. Papa Menzies war ein alter Sozialdemokrat aus dem Ausland und in der Textilarbeitergewerkschaft aktiv. Von seinen sechs Kindern folgten zwei Töchter dem Beispiel ihrer Mutter, einer konservativen orthodoxen Jüdin, die eine schmutzige Perücke trug, zu Hause alle Feiertage einhielt und unter Tränen für das Seelenheil ihrer verlorenen Lieben betete, welche, von Amerika gezwungen, samstags zu arbeiten, und von der Radikalenbewegung zu Agnostikern und Spöttern gemacht, dem Glauben ihrer Väter abgeschworen hatten. Rachel und der älteste Sohn Jacob waren Sozialisten wie der Vater, doch die beiden anderen, Joe und Ikey, waren zum «linken Flügel» übergelaufen und forderten lautstark die Diktatur des Proletariats.
    2
    Bunny erhielt einen Brief von Rachel. «Lieber Mr Ross!» So redete sie ihn immer an, als einzige unter seinen Klassenkameraden; auf diese Weise gedachte sie ihre proletarische Würde zu wahren, wenn sie es mit gesellschaftlich hochstehenden Leuten zu tun hatte.
    «Nachdem wir sämtliche Pflaumen Kaliforniens gepflückt haben, sind wir jetzt wieder daheim und beginnen nächste Woche mit der Traubenernte. Sie haben gesagt, Sie würden gern einmal an einem Treffen der sozialistischen Ortsgruppe teilnehmen. Morgen Abend findet im Versammlungssaal der Bekleidungsnäher eine wichtige Zusammenkunft statt. Mein Vater und meine Brüder werden dort sein und würden sich freuen, Sie kennenzulernen.»
    Bunny antwortete mit einem Telegramm, in dem er den alten und die vier jungen jüdischen Sozialisten einlud, vor dem Treffen mit ihm zu Abend zu essen. Er führte sie in ein teures Restaurant, in der Absicht, ihnen eine Ehre zu erweisen, bedachte aber nicht, dass sie sich wegen ihrer Kleidung und ihrer Tischmanieren womöglich unbehaglich fühlen könnten. Wahrlich, leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein reicher Mann Zugang zu den Gefühlen der Enterbten erlangt! 70
    Bunny fand Rachel sehr verändert; er hatte sie vorher als glanzloses, hart arbeitendes Mädchen gekannt. Sie gehörte jenem orientalischen Typus an, der wochenlang in der Sonne Obst ernten kann, ohne sich um seine Haut sorgen zu müssen; auf ihren Wangen leuchtete der Sonnenuntergang und in ihrer Gesinnung der Sonnenaufgang, und zum ersten Mal kam Bunny der Gedanke, dass dieses Mädchen ziemlich reizvoll aussah. Sie erzählte von ihren Abenteuern, die ihm ungemein romantisch erschienen. Die meisten Menschen würden sich in ihren Tagträumen ausmalen, sie seien der Sohn und Erbe eines großen Ölmagnaten, mit Millionen von Dollar, die auf sie herniederprasselten, einem Sportwagen für Spritztouren und mit Stahlwitwen und andere Sirenen als Geliebten. Bunny hingegen stellte sich ein märchenhaftes Leben so vor: Mit ein paar jungen Leuten einfach losfahren, in einem klapprigen alten Ford, der ab und zu eine Panne hatte, in einem Zelt übernachten, das der Wind davonblies, zusammen mit Mexikanern, Japanern und Indern Obst pflücken und jede Woche eine Postanweisung über zehn oder zwölf Dollar heimschicken.
    Papa Menzies war ein untersetzter, energisch wirkender Mann mit einem Kopf voll flachsblonder Locken und einem mächtigen Brustkorb – auch wenn man diesen von hinten besser sah als von vorn, so sehr war er von der harten Arbeit gebeugt. Bestimmte Laute konnte er noch immer nicht richtig aussprechen; geringschätzig pflegte er zu sagen: «Ieberall dies Gerede ieber die Weltrevolution!» Seinen Sohn Jacob, den Sozialisten, kannte Bunny als blassen Studenten mit hängenden Schultern; nun stellte er fest, dass ihm das Leben im Freien sehr gutgetan hatte. Die anderen beiden Söhne, die vom «linken Flügel», waren geschwätzig und geltungssüchtig und wirkten abstoßend auf den zartfühlenden Bunny, der nicht genügend Menschenkenntnis besaß, um zu spüren, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben einem jungen Plutokraten begegneten und sich nervös bemühten, im Namen der Arbeiterklasse ihre Selbstachtung zu wahren. Niemand sollte sagen dürfen, dass sie sich einschüchtern ließen! Hinzu kam, dass sie wegen des erbitterten politischen

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