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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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alledem störte den alten Mann, er war an Unordnung gewöhnt und ganz und gar vom Streik in Anspruch genommen. Er erzählte Bunny davon und las ihm seinen Artikel vor, eine bittere Klageschrift der Bekleidungsnäher. Dann kam Bunny auf Rachel und die Universität zu sprechen und verlangte beharrlich, Chaim Menzies solle seine Tochter überreden, ihre Ausbildung nicht abzubrechen. Mrs Menzies saß daneben, starrte ihn aus großen, dunklen Augen an und versuchte zu verstehen, und plötzlich brach eine Sturzflut in aufgeregtem Jiddisch aus ihr heraus. Gut, dass Bunny kein Wort verstand. Denn Mama Menzies vertraute diesem hübschen jungen Goi 92 nicht und unterstellte dem Besucher die schlimmsten Absichten. Er versuche ihre Tochter zur Sünde zu verlocken, habe es vielleicht bereits getan – wer wisse schon, was für ein Leben sie führe, mit all diesen atheistischen und sozialistischen Ideen im Kopf und an einer Schule, die von einem Haufen «Kristen» geführt werde!
    Papa Menzies gebot ihr streng, den Mund zu halten, was sie nach dem hebräischen Gesetz hätte befolgen müssen, aber offenbar legte sie ihre hebräischen Gesetze ebenso frei aus wie die «Kristen» die ihren. Umtost von ihrer jiddischen Sturzflut dankte Chaim Bunny für seine Freundlichkeit und erklärte, was Rachel wirklich plage, sei die Notlage ihrer Familie während des Streiks. Wenn Bunny der Familie helfen würde, wäre es Rachel ein Leichtes, sich selbst zu helfen. Sie schüttelten einander die Hände, und Bunny ging heim, um Dad zu berichten, dass er sich verpflichtet habe, ein halbes Dutzend jüdische Bekleidungsnäher zu unterstützen.
    8
    Bunny war wieder an der Southern Pacific. Es war der Weg des geringsten Widerstands; eine hübsche, saubere Beschäftigung, ehrenhaft und nervenschonend. Ein gut aussehender, wohlhabender Student, der die Professoren um den Finger zu wickeln vermochte, konnte fast ohne Aufwand durchkommen und hatte noch reichlich Zeit, bolschewistische Propaganda zu lesen und Streiks zu verfolgen; außerdem konnte er mit einer Filmdiva durch die Stadt gondeln, mit ihr Auto fahren, essen und tanzen und sie auf die Wochenendpartys der feinen Gesellschaft von Hollywood begleiten.
    Er hätte sogar Zeit gehabt, sie im Studio zu besuchen und ihr bei der Arbeit an ihrem neuen Film zuzuschauen, aber das ließ sie nicht zu. Sie sei zu verliebt, sie könne sich nicht konzentrieren, wenn er sie beobachte. Außerdem sei ihre Arbeit schrecklich, sagte sie, alle Filme seien schrecklich; was sie da mache, würde Bunny nicht gefallen. Es sei nur eine Methode, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, sie müsse tun, was andere ihr befehlen würden; es stehe in keinerlei Beziehung zum Leben, und Bunny, der so ernst und gebildet sei, würde es für kindisch halten – oder für etwas noch Schlimmeres. Sie mochte es, dass er so ernst war, er war ein Schatz und so weiter, einer von den wenigen Männern, die wirklich etwas über die Welt zu sagen wussten; er musste so bleiben und durfte ihren Filmen gar keine Beachtung schenken.
    Es kam Bunny ein wenig merkwürdig vor; sie protestierte gar zu heftig. Und es dauerte nicht lange, da entdeckte er in einer der Klatschspalten über die Filmwelt, die seitenweise die Zeitungen füllten, den Grund dafür. Vee Tracy drehte einen Film über Russland! Sie spielte eine schöne Prinzessin des alten Regimes, die im Sturm der Revolution gefangen genommen wird, den Bolschewiken in die Hände fällt und dank der Hilfe eines hübschen jungen Amerikaners vom Geheimdienst fliehen kann – Fluchtszenen waren ihre Spezialität. Vee arbeitete seit sechs Monaten an diesem Film, hatte sich mittendrin einen «Salonbolschewiken» als Liebhaber zugelegt und befürchtete nun, er könne erfahren, was sie da tat!
    Armer Bunny, er bemühte sich so ernsthaft und hingebungsvoll, auf zwei Rössern gleichzeitig zu reiten! Doch die Rösser liefen immer weiter auseinander und rissen ihn fast entzwei. Da war nun dieser Streik der Bekleidungsnäher, der in Amerikas erster Open-shop -Stadt den Frieden störte. Es war der Höhepunkt einer Reihe von Unruhen: erst ein Ausstand der Straßenbahner, dann einer der Zimmerer. Augenscheinlich war das Unterwanderungsprogramm der Roten erschreckend erfolgreich. Dem Ganzen musste ein für alle Mal Einhalt geboten werden. Der Stadtrat erließ eine Antistreikpostenverordnung, die es jedem untersagte, vor einem bestreikten Gebäude auch nur ein hässliches Gesicht aufzusetzen. Da nicht alle

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