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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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über die Wände kriechen. Die Gefangenen waren in «Tonnen» gesperrt, vergitterte Stahlkäfige mit jeweils dreißig oder vierzig Männern, ohne einen Strahl Tageslicht und mit so wenig künstlichem Licht, dass man nicht lesen konnte. Diese Stadt mit dem seltsamen Namen Angel City, Stadt der Engel, schien eifrig bemüht, bei ihren Opfern alle erdenklichen Laster zu fördern, denn sie verschaffte ihnen weder Lesestoff noch die Möglichkeit zu körperlicher Betätigung oder Erholung, erlaubte ihnen aber Karten, Würfel und Zigaretten, und die Wärter schmuggelten für alle, die Bestechungsgeld auftreiben konnten, heimlich Whiskey und Kokain nach drinnen.
    In einer dieser Massenzellen saß Papa Menzies – am Boden, denn einen anderen Platz zum Sitzen gab es nicht. Er schien ganz zufrieden, denn er hatte die ganze Zellengemeinde um sich versammelt; alle wollten vom Kampf der Bekleidungsnäher hören und davon, dass es nun an den schwer schuftenden Arbeitern dieser Welt sei, sich zu organisieren und das kapitalistische System abzuschaffen. Als Bunny erschien, sprang der alte Mann auf und packte ihn bei der Hand, und Bunny sagte rasch: «Mr Menzies, Sie müssen wissen, dieser Herr hier ist Kriminalbeamter.»
    Papa Menzies grinste. «Nu, ich hab nix zu verbergn. Bin ich seit zwanzig Jahrn Mitglied der sozialistischen Partei. Ich glaub an die Urne, se werden finden nix andres, se missen schon wos erfinden. Ich hab den Jingelech hier erklärt, wos is Sozialismus, und ich wer ’ es auch diesem Gentleman erklären, wenn er will zuheern. Ich hab den Bekleidungsnähern geholfen, dass se gemeinsam für anständige Arbeitsbedingungen eintreten, und an dem Tag, wo ich bin wieder draußen, ich mach weiter.» Na, das war’s dann wohl!
    Am Abend rief Bunny seinen Vater an und schilderte ihm die Situation. Bunny hatte sich angewöhnt, Schecks in jeglicher Höhe mit dem Namen seines Vaters zu unterzeichnen, und achtete sorgsam darauf, dieses Privileg nicht zu missbrauchen; doch jetzt beabsichtigte er, fünfzehntausend Dollar abzuheben, da sie die Kaution wahrscheinlich sehr hoch ansetzten, in der Hoffnung, den alten Mann im Gefängnis behalten zu können, bis der Streik niedergeschlagen war. Bunny erklärte, es sei kein Risiko damit verbunden, denn Menzies sei die Redlichkeit in Person und würde sich niemals aus dem Staub machen.
    Dad am Telefon verzog das Gesicht – aber was blieb ihm schon übrig? Sein innig geliebter Sohn kochte vor Empörung und beteuerte, nie und nimmer sei dieser alte Bekleidungsnäher ein Geheimagent der sowjetischen Regierung, gezielt nach Angel City eingeschleust, um amerikanische Institutionen zu zersetzen. Woher Bunny das so genau wissen wollte, überstieg Dads Vorstellungsvermögen, aber er hatte seinen Jungen noch nie so aufgebracht erlebt, und so willigte er schließlich ein; allerdings sollte Mr Dolliver jemanden mit dem Geld zum Gericht schicken, damit Bunnys Name nicht wieder in die Schlagzeilen geriet.
    10
    Die Sache wurde durchgeführt, wie Dad es angeordnet hatte; der Kanzleischreiber ging ins Gericht, kam zurück und berichtete, die Gefangenen seien erschienen, doch Menzies habe sich nicht unter ihnen befunden. Sein Fall sei den Bundesbehörden überstellt worden, denn man habe herausbekommen, dass er aus dem russischen Teil Polens stamme, und nun beabsichtige man, seine Einbürgerung zu widerrufen und ihn abzuschieben. Chaim war ins Bezirksgefängnis verlegt worden, noch so ein abbruchreifes Gebäude, ebenso schäbig und schmutzig wie das städtische Gefängnis. Jetzt konnte man nichts mehr unternehmen, denn bei Ausweisungen weigerten sich die Gerichte, einzugreifen; sie galten als Verwaltungssache. Dem demokratischen Justizminister war es trotz seiner Kampagne gegen die Roten nicht gelungen, als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden, aber die Maschinerie, die er in Gang gesetzt hatte, produzierte noch immer Elend für Schuldige und Unschuldige gleichermaßen.
    Jetzt hatte Bunny echte Sorgen. Bei den Menzies ’ lief Rachel blass und unruhig im Zimmer auf und ab, und Mama Menzies heulte und zerriss ihre Kleidung. Man konnte dem armen Chaim nicht einmal eine Nachricht zukommen lassen, er war in Isolationshaft, am Ende saß er gar schon in einem Zug Richtung Osten. Danach gab es keine Rettung mehr – er würde an Bord eines Dampfers nach Danzig verfrachtet und dort dem polnischen «weißen Terror» übergeben werden.
    Bunny drang darauf, dass man irgendetwas unternehmen müsse, und so

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