Öl!
Bekleidungsnäher von Natur aus schöne Gesichter hatten, wurde ständig gegen diese Verordnung verstoßen, und sehr bald waren die Zeitungen voll von Berichten über Aufstände, die von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden. Zu Bunnys Lehrplan gehörte auch, dass Rachel Menzies ihm und dem restlichen «roten Haufen» schilderte, wie die Polizei Mädchen, die weiter nichts taten, als in einer Straße paarweise auf und ab zu gehen, aufgriffen und ihnen die Arme auskugelten.
Eines Morgens erschien Rachel nicht in der Klasse; und tags darauf kam ein Briefchen für Bunny, in dem stand, Jacob Menzies sei in der Streikpostenkette fast bewusstlos geprügelt worden. Jacob war der Bruder vom « rechten Flügel » , der Blasse mit den hängenden Schultern, der sich das Geld für seine Ausbildung dadurch verdiente, dass er Studenten die Hosen bügelte, und Bunny hatte sich von der Vorsichtsmaßregel, anderer Leute Sorgen zu meiden, schon so weit entfernt, dass er es für seine Pflicht hielt, zu den Menzies ’ zu fahren und sich dem quälenden Anblick von Jacob Menzies auszusetzen, der kreidebleich und mit einem Hinduturban um den Kopf im Bett lag. Mama Menzies heulte tränenüberströmt immer wieder dasselbe jiddische Wort, das sogar Bunny verstand: «Oj! Oj! Oj!» Chaim Menzies, der Vater, war nirgends zu sehen, denn er hatte seine Rockschöße dem Klammergriff seiner Frau entrissen, war ins Hauptquartier der Streikenden gelaufen und tat seine Pflicht.
Als Bunny am nächsten Nachmittag aus der Universität kam, sah er an einem Zeitungsstand das vertraute Grün des «Evening Booster», und sein Blick blieb – wie ja beabsichtigt – an einer grellen Schlagzeile hängen:
RAZZIA IN ROTER ZENTRALE
Bunny kaufte sich – wie ja beabsichtigt – eine Zeitung und las, dass heute Morgen ein Polizeitrupp in die Räume der Bekleidungsnähergewerkschaft eingedrungen sei und eine ganze Wagenladung von Papieren beschlagnahmt habe, die beweisen solle, dass die Unruhen in den Industriebetrieben dieser Stadt von den roten Revolutionären in Moskau gesteuert und finanziert würden. Die Gewerkschaftsfunktionäre seien festgenommen worden; darunter der «geständige sozialistische Agitator» Chaim Menzies.
9
Damit hatte Bunny eine weitere Aufgabe. Er wusste nicht recht, wie er sie angehen sollte; Dad war unterwegs nach Paradise und konnte nicht um Rat gefragt werden. So suchte Bunny Dads Rechtsanwalt Mr Dolliver auf, einen scharfsinnigen, freundlichen Herrn, der keinerlei Sympathien für die Roten hegte, aber wie jeder Anwalt auf alle erdenklichen abwegigen Scherereien seiner reichen Klienten gefasst war. Er rief im Polizeihauptquartier an und brachte in Erfahrung, dass der geständige sozialistische Agitator am darauffolgenden Tag vor Gericht gestellt werde; dann werde die Höhe der Kaution festgesetzt, und es sei an Bunny, das Geld bereitzustellen, entweder in bar oder in Form von Liegenschaften im doppelten Wert. Bunny sagte, er wolle den Gefangenen besuchen, und Mr Dolliver sagte, er kenne den Polizeichef und könne das vielleicht arrangieren.
Er schrieb einen Brief, und Bunny ging zu dem düsteren alten Gebäude, das einst für eine Stadt von fünfzigtausend Einwohnern erbaut worden war und nun für eine mit einer Million reichen sollte. Der Polizeichef erwies sich als korpulente Person in Privatkleidung, die stark nach privatem Whiskey roch; er bat Bunny, Platz zu nehmen, rief ein paar Kriminalbeamte herbei und bemühte sich nach Kräften, herauszufinden, was Bunny über Chaim Menzies wusste, sowie Bunnys und Chaims Ansichten zu ergründen. Bunny, der in einer bösen Welt rasch erwachsen wurde, lieferte eine sorgfältig formulierte Darstellung des Unterschieds zwischen dem rechten und linken Flügel der sozialistischen Bewegung. Der Polizeichef merkte, dass er sich zu keiner unüberlegten Aussage hinreißen ließ, und da er ihn als Sohn eines Millionärs nicht in eine Zelle werfen konnte, gab er es auf und sagte einem der Beamten, er solle ihn zu dem Gefangenen führen.
So bekam Bunny kurz Einblick in das Gefängnis seiner Stadt. Das alte Gebäude hatte schon Risse und war von einem halben Dutzend Ausschüssen in Folge als lebensgefährlich baufällig eingestuft worden; trotzdem stand es noch immer, ein Mahnmal für die Gier von Immobilienspekulanten, die sich nicht um den guten Namen einer Stadt scherten, solange nur der Steuersatz niedrig war. Der schimmelige alte Bau stank, und wenn man genau hinsah, sah man das Ungeziefer
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