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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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nicht trauten? Der sei etwas Besonderes, original Koski-Stoff – oder wie das Zeug in New York hieß.
    Vormittags ging beide in ein «Sportstudio», übten turnerische Kunststücke und entwickelten sich zu regelrechten Akrobaten. Vee meinte, falls Dad jemals pleitegehen sollte und sie «Scheinwerferaugen» 97 bekäme und das Filmen aufgeben müsste, könnten sie immer noch für ein paar hundert Dollar die Woche durch Varietés tingeln. Sie nahmen einen Lunch ein, danach fand vielleicht eine Matinee statt, es kam Besuch, ein Reporter oder Sonderberichterstatter, oder Vee ging einkaufen und wollte Bunny, ihren Schatz, unbedingt dabeihaben, weil er so einen exquisiten Geschmack hatte; schließlich zog sie sich nur an, um ihm zu gefallen! Bunny hörte von anderen reichen jungen Männern, auf solche Bemerkungen hin müsse der Mann anordnen, die Rechnung solle an ihn geschickt werden. Doch Vee war nicht hinter dem Geld der Männer her. Wenn sie einlud, zahlte sie auch.
    Sie wollte nur ihr Bunny-Häschen haben. Sie betete ihn an und wollte jeden Augenblick bei ihm sein und ihn der ganzen Welt vorführen, selbst den Zeitungen. Sie waren nun schon so lange ein Paar, dass Bunny sie durch und durch kannte und nicht nur die Vorteile, sondern auch die Nachteile ihrer Verbindung sah. Dass Vee sehr sinnlich war, störte ihn nicht, er war jung, und seine Leidenschaft stand der ihren in nichts nach. Die Künste, die er bei Eunice Hoyt gelernt hatte, verbanden sich mit denen, die Vee bei ihren vielen Liebhabern gelernt hatte, und ihnen wurde ganz schwindlig vor Lust. Unmöglich, dem Drang zu widerstehen, der sie zueinandertrieb.
    Aber auf geistiger Ebene passten sie überhaupt nicht zusammen. Sie hörte zwar immer zu, wenn er mit ihr redete, aber wie wenig sie sich in Wirklichkeit für ernsthafte Fragen interessierte, wurde auf komische Weise deutlich, wenn sie mitten im Gespräch das Thema wechselte. Sie hatte ihr eigenes Leben, ein Leben voller Tempo, Aufregung und Theatralik. Auch wenn sie sich über die Filmwelt und ihre Arbeit lustig machte, gehörte sie dazu und brauchte den Applaus und die Aufmerksamkeit wie die Luft zum Atmen. Sie stand immer auf der Bühne, spielte immer eine Rolle, war von Berufs wegen der Liebling der ganzen Welt; immer fröhlich, immer frisch, jung, schön und munter. So etwas wie Nachdenklichkeit war ihr verdächtig, ein Deckmantel für gefährliche Feinde, die sich einem in den Kopf stahlen. «Was ist los, Bunny-Häschen? Du denkst wohl schon wieder an diesen schrecklichen Streik!»
    Sich hinzusetzen und ein Buch zu lesen war diesem Liebling der ganzen Welt völlig fremd. Eine Zeitung, ja, natürlich, auch eine Zeitschrift – man hatte sie herumliegen, ein Mann nahm sie in die Hand und überflog einen Artikel, war aber immer bereit, innezuhalten und ein neues Kleid zu begutachten oder sich ein wenig Klatsch anzuhören. Aber völlig ins Lesen vertieft zu sein, nicht unterbrochen werden zu wollen – nein, das war nicht besonders höflich, nicht wahr? Und einen ganzen Nachmittag oder Abend mit einem Buch zu verbringen – von so etwas hatte Vee überhaupt noch nie gehört. Sie sprach es nicht aus, aber Bunny begriff: Ein Buch war etwas Billiges, das konnte jeder haben und sich damit in eine Ecke verziehen, aber in einer von der Intendanz zur Verfügung gestellten Theaterloge zu sitzen und fast so wichtig wie das Stück zu sein, das war nur wenigen Menschen vergönnt.
    Einer der jungen Männer, die in Dan Irvings Arbeitercollege unterrichtet hatten, war gerade in New York; Bunny traf sich mit ihm, und sie sprachen über die Entwicklung der Arbeiterbewegung auf der ganzen Welt. Bunny hätte ihn gern noch ein zweites Mal gesehen und wäre zu Versammlungen gegangen – es gab so viel Aufregendes in dieser großen Stadt, die unter anderem auch das Zentrum der Radikalenbewegung war. Aber Vee kam dahinter, und sie nahm sich vor, ihn zu retten – als hätte er Opium rauchen oder Absinth trinken wollen! Sie traf Verabredungen für ihn, beanspruchte seine Zeit und verhörte ihn ängstlich und mit einer Miene, als wollte sie sagen: «Wo fliegt mein Wandervogel heute Abend hin?» Bunny wusste natürlich, dass sie das um seines Seelenheils willen tat und zweifellos auf Dads ausdrücklichen Wunsch; dennoch war es ihm lästig.
    Eine Bekanntschaft jedoch gab es, gegen die Vee keine Einwände erhob – seine Mutter. Sie hatte vor einiger Zeit wieder geheiratet; ihr Ehemann war reich, und sie besaß ein schönes Haus,

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