Öl!
Recht, sich zu organisieren, zu streiken, zu demonstrieren, mehr Sicherheit unter Tage und in den Fabriken, kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne, selbst das Privileg, in anderen Läden als den firmeneigenen einkaufen zu dürfen. Innerhalb von sieben Jahren stieg die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder von weniger als einer halben Million (1897) auf gut zwei Millionen an.
Die Folge war der wohl brutalste Klassenkampf der Menschheitsgeschichte, eine Abfolge von Streiks und deren gewalttätiger Niederschlagung. Während dieses langen und erbitterten Kampfes waren die Gewerkschaften meist auf sich allein gestellt, wohingegen die Industrie in der öffentlichen Meinung, der Polizei und den Gerichten mächtige Verbündete fand. Zehntausende von Streiks wurden ausgerufen, manche von ihnen kurzzeitig und lokal begrenzt, andere landesweit und von längerer Dauer.
Das Lattimer-Massaker: Am 10. September 1897 wurden 19 Minenarbeiter bei einer Protestkundgebung von der Polizei erschossen. Der Westmoreland-County-Kohlestreik: 15 000 Grubenarbeiter streikten 1910 und 1911 in Pennsylvania 16 Monate lang; 16 Tote. Das Ludlow-Massaker am 20. April 1914: 20 Männer, Frauen und Kinder wurden umgebracht, als ihre Zeltsiedlung zerstört wurde. Matewan, West Virginia: Am 19. Mai 1920 wurden 12 Männer in einem Feuergefecht zwischen den Einwohnern der Stadt und der von den Mineneigentümern angeheuerte Baldwin-Felts Detective Agency erschossen. Der Redneck-Krieg und die Schlacht von Blair Mountain: die ersten innenpolitischen Gefechte seit dem Bürgerkrieg zwischen den Nord- und den Südstaaten. 1920/21 versuchten die Minenarbeiter im Südwesten von West Virginia, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Der Alabama-Kohlestreik: 16 Minenarbeiter starben 1920 bei dem vergeblichen Versuch, eine Gewerkschaft zu etablieren, einer von ihnen wurde gelyncht.
You load sixteen tons, what do you get
Another day older and deeper in debt
Saint Peter, don’t you call me ’cause I can’t go
I owe my soul to the company store.
DER SCHREIBENDE AKTIVIST
Am 6. Mai 1914 berichtete die New York Times von der stillen Mahnwache eines gewissen Upton Sinclair vor der Zentrale der Standard Oil, 26 Broadway, der damit die streikenden Ölarbeiter in Colorado unterstützen wollte. In strömendem Regen sei er zusammen mit seiner Frau hinter einem Leichenwagen vor dem Gebäude auf und ab marschiert. John D. Rockefeller und sein Neffe hätten es abgelehnt, ihn zu empfangen, und auch die Sozialistische Partei habe sich von seiner Aktion distanziert, mit der Begründung, man sei gegen den Kapitalismus, nicht aber gegen einzelne Kapitalisten.
Zu diesem Zeitpunkt war Sinclair bereits – kraft seiner Feder – eine berühmte, von manchen verehrte, von anderen verabscheute Person des öffentlichen Lebens. «Uppie» hatte keine geregelte Schul- und Universitätsausbildung genossen, dazu hatte das Geld gefehlt. Er erlangte zwar 1897 einen Abschluss am College of the City of New York, besuchte danach aber nur vereinzelte Kurse an der Columbia University und finanzierte sich durch diverse Jobs und hastig verfasste Zeitungsartikel. «Ich habe alles geschrieben, wovon sich die Menschheit je träumen ließ; ich war Gagschreiber und Ideenlieferant für Cartoonzeichner. Ich habe Zeitungsartikel geschrieben und Geschichten für die ‹Kinderseite› … ich habe für Jungenzeitschriften geschrieben.»
1902 entdeckte Sinclair auf Anregung von Freunden die Lehren des Sozialismus. Er verschlang die Werke von Marx, Engels, Kropotkin, Veblen, Shaw, Brisbane. Diese intensive Lektüre veranlasste ihn, wie es sein Held in Der Liebe Pilgerfahrt ausdrückt, «sein gesamtes voriges Wissen zu revidieren; seine Gehirnkammern mussten von tonnenweise Müll entrümpelt und das Leben völlig neu überdacht werden». Er formte seine lebenslange poetologische Überzeugung: «Alle Kunst ist Propaganda. Sie ist immer und unweigerlich Propaganda, manchmal unbewusst, meist aber vorsätzlich. […] Behauptet ein Künstler oder Kritiker, Kunst und Propaganda schlössen einander aus, dann will er damit eigentlich sagen, dass seine Form der Propaganda Kunst ist, andere Formen hingegen nicht.»
Die Probe aufs Exempel bestand in seinem ersten Erfolgsroman The Jungle (1906), für den Upton Sinclair sieben Wochen lang in den Schlachthäusern Chicagos schuftete, ein damals ungewöhnliches Rechercheverfahren, das Schule machen und eine Lawine des investigativen Journalismus lostreten sollte. Literarisch
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