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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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deshalb zog die Familie um. Dad verschwendete nicht viel Zeit auf derlei Angelegenheiten; er ging zu einem Immobilienmakler, fragte nach dem besten möblierten Haus in der Stadt, fuhr hinaus zu einem Operettenpalast am Ozean, besichtigte ihn, kehrte ins Büro zurück und unterschrieb einen sechsmonatigen Mietvertrag über zweitausendfünfhundert Dollar.
    Von außen bestand dieses Haus aus Gips auf Maschendraht, zumindest sah es so aus, innen aber glänzte es wie das Heim von Mrs Groarty, nur hatte man hier Mahagoni imitiert, nicht Eichenholz. Von der großen Eingangshalle ging es auf der einen Seite in einen Salon, auf der anderen in ein Esszimmer mit raffinierten modernen «Einbaulösungen». Der Eigentümer hatte die Möbel ohne Rücksicht auf Kosten oder Stilepochen ausgesucht: spinnenbeinige französische Goldstühlchen mit geblümtem Seidenbezug, amerikanisches Schwarznussholz mit Rosen und Rosetten aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und chinesisches Teakholz mit geschnitzten Drachen. Es gab Statuen von nackten, marmornen, auf Hochglanz polierten Damen, aber auch einen marmornen Geistlichen in Gehrock und mit Beffchen. Oben befanden sich sechs Schlafzimmer, ein jedes von einer Dame des ersten Einrichtungshauses am Platze in einer anderen Farbe gestaltet. Manch einer hätte vielleicht gefunden, dass es dem Haus an Wohnlichkeit fehlte, aber dieser Gedanke kam Bunny gar nicht – er hatte gelernt, sich in Hotelzimmern und Foyers wohlzufühlen. Seit er denken konnte, war das «Zuhause» ein gemietetes Haus – ein gekauftes allenfalls dann, wenn Dad damit spekulieren wollte. So wie die Indianer an der Hudson Bay im Winter einen Elch erlegen und dann neben dem toten Tier ihr Lager aufschlagen, so schlug Dad nach Beginn der Bohrarbeiten sein Lager in der Nähe des Bohrlochs auf.
    Als Erster traf Mr Eaton ein, der Hauslehrer. Er war es gewohnt, per Telefon benachrichtigt zu werden, wo der Elchkadaver lag. Er packte seine beiden Reisetaschen und den Überseekoffer und nahm den Zug oder Autobus zu seinem Schüler. Er war ein eher schmächtiger, sehr zurückhaltender junger Mann mit hellblauen Augen und von Büchern ausgebeulten Taschen. Dad hatte ihn unter der ausdrücklichen Bedingung angestellt, dass Öl vor Kultur rangieren müsse; mit anderen Worten, er unterrichtete seinen Schüler nur dann, wenn Dad es nicht tat. Dad hatte ein gespaltenes Verhältnis zum Bücherwissen; manchmal fand er das alles Humbug, ein andermal zollte er ihm verlegen eine gewisse Hochachtung. Ja, natürlich war er ein «Roughneck» 12 , und Bunny sollte einmal mehr wissen als er; aber gleichzeitig war er auf dieses Wissen eifersüchtig und befürchtete, es könne sich um etwas handeln, was er nicht billigte. Und damit hatte er recht, denn Mr Eaton lehrte Bunny ungeniert, dass es auf Erden Dinge gab, die wichtiger waren als Öl.
    Dann kam die Familienlimousine mit Großmutter und Tante Emma, gefahren von Rudolph, Chauffeur und Gärtner in einem, der bei Partys einen Gehrock anzog und den Butler spielte. Neben ihm auf dem Vordersitz saß Sing, der chinesische Koch, der zu wertvoll war, als dass man ihn einem Autobus oder einem Zug hätte anvertrauen können. Das Hausmädchen Nelly war leichter zu ersetzen, deshalb kümmerte es sich selbst um seine Beförderung. Ein Lastwagen brachte die Koffer und diversen Besitztümer – Bunnys Fahrrad, Tante Emmas Hutschachteln und Großmutters kostbare Kunstwerke.
    Die alte Mrs Ross war fünfundsiebzig, und vor der Erfindung von Automobil, Telefon und Maschinen hatte sie das Leben einer Bäuerin geführt. Sie hatte in Armut gelebt, geschuftet und eine Familie großgezogen, hatte eine Tochter im Kindbett, einen Sohn an Typhus im spanischen Krieg 13 und einen anderen an der Trunksucht sterben sehen; «Jim» war alles, was ihr geblieben war. Nun hatte er spät ein Vermögen gemacht und ihr für den Rest ihres Lebens zu Muße und Freizeit verholfen. Und kein Mensch wäre von selbst darauf gekommen, welchen Gebrauch sie davon machte. Aus heiterem Himmel verkündete sie, malen zu wollen! Anscheinend hatte sie diesen Traum insgeheim sechzig Jahre lang gehegt, während sie Geschirr gespült, Kindern den Hintern versohlt und Aprikosen und Muskatellertrauben gedörrt hatte.
    So verfügte Großmutter jetzt, wo immer sie wohnten, über ein eigenes «Atelier». Ein Wanderkünstler hatte ihr den Umgang mit grellen, schreienden Farben beigebracht. Dieser Künstler hatte die Sonnenuntergänge in der Wüste und die Berge

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