Öland
Frage:
»Anders hat erzählt, dass er deinem Sohn an besagtem
Herbsttag nicht begegnet ist. Er sei im Haus geblieben, weil es
draußen zu neblig und ungemütlich war. Er habe erst davon
erfahren, als wir alle Bewohner gebeten haben, uns bei der
Suche zu helfen. Niklas Bergman, der das Gespräch geführt
hat, meint, dass Anders die Wahrheit sagt.«
Julia nickte nur.
»Ich glaube nicht, dass uns diese Spur weiterbringt, wenn
nichts Neues auftaucht«, beendete Lennart seine Ausführungen.
Wieder nickte Julia. Sie betrachtete ihre Hände und flüsterte:
»Ich habe versucht, weiterzuleben und mich nicht zu tief
in der Vergangenheit zu vergraben, aber es ist mir bisher nie
gelungen, aber in diesem Herbst scheint es das erste Mal
möglich zu sein. Ein wenig zumindest. Ich konnte endlich
trauern, das ging vorher nicht.« Sie sah Lennart an. »Darum
glaube ich, dass es gut und richtig für mich war, nach Öland
zu kommen, auch weil ich meinen Vater wiedergesehen
habe. Und dich getroffen habe.«
»Das finde ich wunderbar«, sagte Lennart. »Ich war auch
sehr, sehr lange in der Vergangenheit gefangen. Mir ging es
zwischendurch sehr schlecht, bis ich endlich eingesehen
habe, dass es einen nicht glücklicher macht, sich zu rächen.
Man muss weiterleben. Es ist schwer, nach vorne zu schauen,
aber ich glaube, es ist der einzige Weg.«
»Ja«, sagte Julia leise. »Man muss die Toten in Frieden ruhen lassen.«
PUERTO LIMÓN, JULI 1963
N ils verlässt den Strand Playa Bonita nördlich von Limón, als
der Wein versiegt und die Party sich ihrem Ende zuneigt. Er
hat an diesem Abend schon zwei Flaschen chilenischen Rotwein getrunken, fühlt sich aber trotzdem nicht betrunken
genug für das, was ihn in Kürze erwartet.
An der Playa Bonita sind heute nur wenige Besucher gewesen, fast alle haben schon vor Stunden die Heimfahrt angetreten.
Nur zwei Männer befinden sich noch am Strand. Sie sitzen
vor einem kleinen Lagerfeuer. Betrunken singen und lachen
sie leise vor sich hin, den Arm um die Schultern des anderen
gelegt. Eine der Schattengestalten ist der Mann, den Nils nur
als Fritiof Andersson kennt, die andere ist ihr Opfer. Manchmal ist er für Nils der Småländer , aber meistens nur Borrachon, der Säufer.
Costa Rica ist so viel besser als Panama, findet Borrachon, er
begreift nicht, warum er nicht schon viel früher hierhergekommen ist. Und auch Limón ist eine großartige Stadt. Eigentlich will er nie mehr zurück.
Nils hat ihm gesagt, dass er so lange bleiben kann, wie er
will.
Nils hat Borrachon dabei geholfen, nach Costa Rica zu kommen. Er hat dafür gesorgt, dass Borrachon für kurze Zeit aus
seinem Alkoholnebel aufgetaucht ist, um sich einen provisorischenPass in der Botschaft in Panama-Stadt zu besorgen.
Seinen hat er nämlich auf dem Schiff liegen lassen, das ohne
ihn weitergefahren ist. Dann hat er ihn mit dem Zug nach
San José gebracht. Dort hat er ihm ein billiges Hotelzimmer
am Hauptbahnhof organisiert, Borrachon mit Geld für Wein
und Essen versorgt und auf die Rückkehr von Fritiof Andersson gewartet.
Borrachon ist ihm so dankbar gewesen, erdrückend dankbar. Er glaubt einen neuen Freund gefunden zu haben, einen,
der ihn wirklich versteht. Einen, für den er in den Tod gehen
würde.
Nils hat nur genickt und ihn angelächelt, aber in seinem
Inneren ist nur der Wunsch gewesen, dass Fritiof möglichst
schnell zurückkehren und ihm helfen möge. Hier kommt Fritiof Andersson … Nils will kein Freund dieses unterwürfigen
Schweden sein, der ihm so ähnlich sieht, er will nur nach
Öland zurück. Fritiof hat versprochen, das alles zu regeln,
und alles, was er dafür haben will …
Hey, wenn du es willst, lass es mich wissen,
dann fahren wir nach Haus …
– alles, was Fritiof dafür haben will, sind die versteckten
Edelsteine.
Zumindest vermutet Nils das. Während der letzten Besuche hat er das Thema häufiger angesprochen. Er weiß Bescheid über die Ereignisse in der Alvar kurz nach dem Krieg.
»Und diese Deutschen, wo kamen die eigentlich her?«, hat
Fritiof ihn zum Beispiel gefragt. »Stimmt es, dass sie Kriegsbeute dabeihatten? Was ist damit passiert? Was haben Sie damit gemacht, Nils?«
So viele Fragen, aber Nils vermutet, der Mann, der sich
Fritiof nennt, kennt die meisten Antworten bereits.
Nils hat seine Fragen kurz angebunden beantwortet, aber
wo er die Edelsteine versteckt hat, verrät er nicht.
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