Öland
sich die Tür des
Mietshauses, in dem John verschwunden war, und er kam heraus. Mit starrem Blick überquerte er die Straße und öffnete
die Fahrertür.
»Geht es ihr gut?«, fragte Gerlof.
John startete wortlos den Wagen und fuhr los.
Als sie die Brücke erreichten, fand Gerlof, dass sie lange
genug geschwiegen hatten.
»Stimmt was nicht?«, fragte er. »Ist bei Ingrid etwas vorgefallen?«
John nickte kurz.
»Die Polizei hat Anders festgenommen«, erzählte er. »Sie
haben gerade zu Mittag gegessen, als sie ihn abgeholt haben.«
»Wo? Bei Ingrid?«, fragte Gerlof erstaunt.
John nickte erneut.
»Anders hatte sich bei seiner Tante versteckt. Und jetzt haben sie ihn festgenommen.«
»Festgenommen? Bist du sicher? Die Polizei nimmt nur
jemanden fest, wenn sie davon überzeugt sind, dass …«
»Ingrid hat erzählt, dass die Polizisten einfach in die Wohnung gestürmt sind«, unterbrach John ihn. »Sie haben plötzlich im Zimmer gestanden und Anders mitgeteilt, dass er sie
nach Borgholm begleiten müsse. Sie haben sich geweigert,
Ingrids Fragen zu beantworten.«
»Wusstest du, dass er nach Kalmar gefahren ist?«, fragte
Gerlof.
John nickte wortlos.
»Wie ich heute Morgen gesagt habe«, formulierte Gerlof so
vorsichtig wie möglich, »es ist nie ratsam abzuhauen, wenndie Polizei mit einem reden will. Dann werden sie nur misstrauisch.«
»Anders vertraut ihnen auch nicht«, sagte John. »Er hat damals versucht, die Schlägerei auf dem Campingplatz zu verhindern. Und am Ende wurde er verhaftet und nicht die
Stockholmer.«
»Ich weiß«, beruhigte Gerlof ihn. »Das war ungerecht.« Er
zögerte und formulierte die nächste Frage möglichst vorsichtig: »Wenn es nun aber so sein sollte, dass die Polizei glaubt,
Anders könnte etwas mit dem Verschwinden meines Enkels
zu tun haben, und sie wollen einfach nur mit ihm reden …
Gibt es dann deiner Meinung nach etwas, das darauf hindeuten könnte, dass sie recht haben? Du kennst ihn besser als
jeder andere. Hattest du jemals einen Verdacht?«
John schüttelte den Kopf.
»Anders ist ein anständiger Junge.«
»Du musst keine Sekunde nachdenken?«, bohrte Gerlof.
»Die einzige Dummheit, die er meiner Meinung nach je
angestellt hat, war, als er einmal abends am Steg herumgeschlichen ist und sich in den Büschen bei der Schwimmschule versteckt hat. Er hat heimlich ein paar Mädchen beim
Umziehen zugesehen. Da war er zwölf oder dreizehn. Ich
habe ihm gesagt, dass er das nie wieder machen darf. Und
daran hat er sich meines Wissens auch gehalten.«
Gerlof nickte.
»Das war nun wirklich kein großes Vergehen!«, bestätigte er.
»Er ist ein anständiger Junge«, wiederholte John. »Aber sie
haben ihn trotzdem festgenommen.«
Sie hatten die Brücke überquert und befanden sich wieder
auf ihrer Insel. Gerlof betrachtete die windgepeitschte Alvar
östlich der Landstraße und nickte.
»Lass uns in Borgholm anhalten«, bat er John. »Ich möchte
noch einmal mit Martin Malm sprechen. Er soll mir erzählen,
was wirklich geschehen ist.«
25
I ch werde Anders Hagman nicht selbst vernehmen«, erklärte
Lennart Julia im Streifenwagen auf dem Weg nach Borgholm.
»Es kommt ein Kriminalbeamter aus Kalmar, der darauf spezialisiert ist.«
»Wird es ein langes Verhör werden?«, fragte Julia und beobachtete Lennart.
Er trug eine nagelneue Jacke, einen edlen Winteranorak
mit dem Emblem der schwedischen Polizei auf der Schulter.
»Ich würde das nicht Verhör nennen«, sagte Lennart. »Es ist
ein Gespräch, ein kleiner Austausch. Er ist ja nicht festgenommen oder angezeigt worden. Dafür gibt es keinen Grund. Aber
sollte Anders zugeben, dass er im Keller von Vera Kant gegraben und die Zeitungsausschnitte aufgehängt hat, werden wir
bestimmt auch auf deinen Sohn zu sprechen kommen. Und
dann müssen wir sehen, was Anders uns zu sagen hat.«
»Ich habe versucht, mich zu erinnern, ob er jemals ein besonderes Interesse an Jens gezeigt hat, aber das hat er meines
Wissens nie.«
»Umso besser. Man sollte den Menschen nicht immer alles
Mögliche unterstellen.«
Lennart hatte sie Dienstagvormittag angerufen, als sie mit
Astrid beim Kaffee saß. Er hatte ihr erzählt, dass Anders
Hagman nach Borgholm überführt worden sei. Eine halbeStunde später stand er mit seinem Streifenwagen vor der Tür
und holte sie ab. Julia war sehr dankbar, dass Lennart sie teilhaben ließ, gleichzeitig jedoch auch furchtbar
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