Öland
Raum, eine Art Salon. Die Luft war stickig, es war dunkel und roch nach altem
Zigarettenrauch. Die vielen Fenster zeigten alle in den Garten
des Hauses, aber die schweren Vorhänge waren zugezogen.
An der Decke hing ein Kristallleuchter, der in ein weißes Laken gehüllt war. In zwei Ecken des Zimmers standen Kachelöfen, in einer dritten ein Fernseher, in dem in gedämpfter
Lautstärke ein Zeichentrickfilm lief. Familie Feuerstein.
Vor dem Fernseher stand ein Rollstuhl, in dem ein alter
Mann zusammengesunken und mit einer Decke über den
Beinen saß. Sein kahler Schädel war von Leberflecken übersät, über seine Stirn zog sich eine alte, weiße Narbe. Sein Kinn
zitterte ununterbrochen.
Das war Martin Malm, der Mann, der ihm Jens’ Sandale geschickt hatte.
»Du hast Besuch, Martin«, sagte Ann-Britt Malm.
Der alte Reeder drehte seinen Kopf mit einem Ruck zu
ihnen um. Er heftete seinen Blick auf Gerlof.
»Guten Tag, Martin«, grüßte Gerlof ihn. »Wie geht es dir?«
Malms zitterndes Kinn sank bei einem angedeuteten Nicken noch tiefer.
»Geht es dir gut?«, fragte Gerlof.
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Nein? Mir auch nicht«, antwortete Gerlof. »Uns geht es so,
wie wir es verdienen.«
Es wurde still. Fred Feuerstein sprang in sein Auto und
düste in einer Staubwolke davon.
»Wollen Sie einen Kaffee, Gerlof?«, fragte Ann-Britt Malm.
»Nein danke.«
Gerlof hoffte sehr, dass sie nicht die ganze Zeit im Salon
bleiben würde.
Das hatte sie offensichtlich nicht vor. Sie verließ das Zimmer und sah Gerlof dabei an, als würden sie sich wortlos verstehen.
»Ich komme später wieder«, sagte sie noch.
Dann schloss sie die Tür hinter sich.
Im Salon wurde es still.
Gerlof blieb unschlüssig stehen, ging dann jedoch zu einem Stuhl an der Wand. Er stand zwar einige Meter von Martin entfernt, aber Gerlof wusste, dass er es nicht schaffen
würde, ihn zu tragen, und setzte sich, wo er war.
»So«, sagte er. »Jetzt können wir ein bisschen plaudern.«
Gerlof registrierte, wie wenig Maritimes sich im Gegensatz
zum Eingangsflur und seinem eigenen Zimmer im Altersheim in diesem Raum befand. Hier hingen keine Bilder von
Schiffen, keine gerahmten Seekarten, keine alten Kompasse.
»Vermisst du die Seefahrt nicht, Martin?«, fragte er. »Ich
schon. Sogar an einem stürmischen Tag wie heute, an dem
man gar nicht auf See sein sollte. Aber ich habe die hier
noch …« Er hob seine Aktentasche hoch. »In ihr habe ich alleUnterlagen aus meiner Zeit auf See, die sind noch gut in
Schuss. Ich wollte dir was zeigen …«
Er öffnete die Tasche und holte das Jubiläumsbuch der
Reederei Malmfrakt heraus:
»Das kennst du natürlich. Ich habe es mir oft angesehen
und viel über deine Schiffe und Abenteuer erfahren, Martin.
Aber eine der Fotografien finde ich besonders interessant.«
Er schlug das Buch auf der Seite mit dem Foto aus Ramneby auf.
»Das hier«, redete Gerlof weiter. »Das Foto wurde Ende der
Fünfzigerjahre aufgenommen, nicht wahr? Bevor du dir dein
erstes Containerschiff gekauft hast.«
Er sah Martin Malm an und erkannte, dass es ihm gelungen war, die Aufmerksamkeit des alten Reeders zu wecken.
Malm starrte auf die Fotografie, und Gerlof sah seine rechte
Hand zucken, als wollte er sie heben und auf das Bild zeigen.
»Erkennst du dich wieder?«, fragte Gerlof. »Das ist einfach,
nicht wahr? Und den Frachtsegler auch? Das ist die Amelia, oder? Sie lag in Borgholm an der Pier immer neben meinem Wellenreiter.«
Martin Malm starrte auf die Abbildung, ohne etwas zu sagen. Er atmete schwer, als würde die Luft zum Sprechen nicht
reichen.
»Erinnerst du dich, wo das Foto aufgenommen wurde?
Wenn ich damals nach Småland gesegelt bin, habe ich eigentlich immer nur in Oskarshamn festgemacht. Aber das hier ist
weiter südlich, nicht wahr?«
Martin antwortete nicht, konnte aber auch seinen Blick
nicht von der alten Aufnahme lösen. Die Männer auf der Pier
starrten ihn an, und Gerlof sah, dass Martins Kinn angefangen hatte, unkontrolliert zu zittern.
»Beim Sägewerk von Ramneby vielleicht? Es gibt leider
keine Bildunterschrift, aber Ernst Adolfsson hat den Ort erkannt. Als das Foto gemacht wurde, konnte man noch ohneWeiteres mit einem einzigen Frachtsegler über die Runden
kommen. Mit knapper Not, aber immerhin …« Gerlof zeigte
erneut auf die Aufnahme. »Und das hier ist der Besitzer des
Sägewerks, August Kant. Der Bruder von
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