Öland
einen Mörder aus Südamerika zurückzuholen, Martin.
Den Polizistenmörder Nils Kant … August Kants Neffen.«
Martin wackelte mit dem Kopf und öffnete den Mund.
»Ee-ra«, stammelte er. »Ee-ra A-ant.«
»Vera Kant!«, wiederholte Gerlof. »Nils’ Mutter. Ja, sie war
bestimmt daran interessiert, ihren Sohn zurückzuholen.
Aber ihr Bruder August hat es bezahlt, oder? Er hat dich dafür bezahlt, einen Toten nach Öland zu transportieren, der in
Marnäs begraben wurde, damit alle glaubten, Nils Kant sei
tot. Und dann hast du ihn ein paar Jahre später mit einem anderen Schiff diskret nach Hause gebracht.«
Er stellte sich noch dichter vor Martin Malm, sodass dieser
den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen.
»Nils ist vermutlich irgendwann Ende der Sechzigerjahre
zurückgekehrt und hat sich auf Öland versteckt. Allerdings
musste er sich im Grunde nicht verstecken, weil ihn nach
fünfundzwanzig Jahren ohnehin keiner erkannt hätte. Bestimmt konnte er ab und zu seine Mutter besuchen und durch
die Alvar streifen.«
Gerlof sah auf den Mann im Rollstuhl herab.
»Ich glaube, dass Nils an jenem nebligen Septembertag in
der Alvar herumstreunte, als er einem kleinen Jungen begegnete, der sich verlaufen hatte. Meinem Enkel Jens.«
Gerlof sah zu Boden.
»Und dann ist was schiefgelaufen«, fuhr er leise fort. »Irgendetwas muss geschehen sein, und Nils bekam Angst. Ich
denke nicht, dass Nils Kant so böse und verrückt war, wie vielebehaupten. Er hatte nur Angst, war impulsiv und konnte
plötzlich gewalttätig werden. Darum musste Jens sterben.«
Gerlof seufzte. »Und dann … na, den Rest weißt du selbst sicher besser als ich. Ich glaube, dass Nils zu dir gekommen ist
und dich um Hilfe gebeten hat. Zusammen habt ihr Jens’ Körper in der Alvar begraben. Aber du hast etwas behalten.«
Er zeigte auf den Gegenstand, den er aus der Aktentasche
geholt hatte. Es war der braune Umschlag.
»Du hast eine Sandale von Jens behalten und sie mir vor ein
paar Monaten zugeschickt. Warum hast du das getan? Wolltest du damit eine Beichte ablegen?«
Martin starrte auf den Umschlag.
»Ju-nge … Ds-sandale.«
Gerlof nickte, ohne zu verstehen. Er ließ sich langsam auf
dem Stuhl nieder, um in Ruhe Luft holen zu können, dann
warf er Martin einen letzten langen Blick zu.
»Hast du Nils Kant getötet, Martin?«
Selbstverständlich erhielt Gerlof keine Antwort, weshalb
er selbst eine gab:
»Ich glaube, dass du es getan hast. Ich glaube, dass Nils dir
zu gefährlich geworden ist. Ich glaube auch, dass du ihm die
Narbe auf deiner Stirn zu verdanken hast, aber das kann ich
natürlich nicht beweisen.«
Er lehnte sich vor und steckte Buch und Umschlag in seine
alte Aktentasche. Dieser Auftritt hatte ihn viel Kraft gekostet.
»Unsere Kinder, Martin …«, begann er. »Wir müssen damit
rechnen, dass sie uns vergessen. Dabei wollen wir, dass sie
sich an die guten Dinge erinnern, die wir vollbracht haben.
Aber das wird uns nicht immer gelingen.«
Gerlof war erschöpft. Auch Martin Malm wirkte sehr entkräftet.
Die Luft im Salon schien verbraucht, und die Dunkelheit
war greifbarer als zuvor. Gerlof stand auf.
»Gut, Martin, das war’s dann«, sagte er. »Ich hoffe, dir geht esso gut, wie es eben möglich ist … Vielleicht komme ich
noch einmal wieder.«
Er fand, dass Letzteres wie eine Drohung klang, was durchaus beabsichtigt war.
Die Tür zum Eingangsflur öffnete sich, noch ehe Gerlof sie
erreicht hatte. Das blasse Gesicht Ann-Britt Malms tauchte
auf.
Gerlof lächelte sie erschöpft an.
»Wir hatten unsere kleine Plauderstunde«, sagte er.
Genau genommen hatte nur Gerlof geredet und keine eindeutigen Antworten erhalten.
Er ging an Martins Frau vorbei, und sie schloss die Tür zum
Salon hinter ihnen.
»Vielen Dank«, sagte Gerlof und nickte ihr freundlich zu.
»Ich habe Ihnen die Sandale geschickt«, sagte sie.
Gerlof blieb abrupt stehen. Sie zeigte auf seine Aktentasche, aus der eine Ecke des braunen Umschlags lugte.
»Woher … wussten Sie«, er musste sich räuspern, »wo sie
hingeschickt werden sollte?«
»Martin hat mir im Sommer den Umschlag gegeben«, erklärte sie. »Die Sandale lag bereits darin, er hatte Ihren Namen daraufgeschrieben. Ich musste ihn nur einwerfen.«
»Haben Sie mich angerufen?«, fragte er. »Nachdem ich die
Sandale erhalten hatte, wurde ich ein paar Mal angerufen,
aber die Person hat immer wieder
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