Öland
wenigen Reaktionen
nicht richtig gedeutet hatte. Er hätte sich unbedingt Notizen
machen müssen.
»Martin kann nicht mehr sprechen«, sagte er und seufzte.
»Ach, wirklich?«, erwiderte John.
Als sie am Marktplatz rechts abbogen, drehte sich Gerlof
um. Er hatte in einem Fenster auf der anderen Straßenseite
Julia gesehen.
Sie saß in einem Restaurant neben der Kirche, an einem
Tisch mit Lennart Henriksson. Gerlof war nicht sonderlich
überrascht, die beiden zusammen zu sehen.
Julia sah Lennart konzentriert an und wirkte entspannt.
Nicht fröhlich, aber ruhig. Und auch Lennart hatte schon
lange nicht mehr so gut gelaunt ausgesehen. Wie schön.
»Dir macht es wirklich nichts aus, mit dem Bus zu fahren?«, fragte John ihn.
Gerlof nickte.
»Mir geht es wieder besser«, sagte er, was allerdings nicht
die ganze Wahrheit war. Aber wenigstens konnte er gehen.
»Außerdem müssen wir den öffentlichen Nahverkehr unterstützen. Sonst stellen sie die Linie auch noch ein.«
John fuhr zum ehemaligen Bahnhofsgebäude von Borgholm. Früher hielten dort Züge. Heute war er nur noch Taxistand und Bushaltestelle.
Nachdem John angehalten hatte, stieg er aus und öffnete
die Beifahrertür.
»Vielen Dank«, sagte Gerlof. Er nickte Anders zum Abschied zu.
Es war ein anstrengender Tag für ihn gewesen, aber er versuchte trotzdem, aufrecht und mit Würde zum Busterminal
hinter dem Bahnhofsgebäude zu gehen, die Aktentasche in
der einen, den Stock in der anderen Hand. Der Bus mit der
Route ›Byxelkrok via Marnäs‹stand schon bereit, der Fahrer
saß im Bus und las Zeitung.
Gerlof blieb vor der Bustür stehen.
»Der Fall ist jedenfalls abgeschlossen«, sagte er. »Wir haben
alles getan, was wir konnten. Martin wird mit dem, was er getan hat, leben müssen. Solange er denn noch lebt!«
»Ja, das wird er wohl«, erwiderte John.
»Sag mal …«, fiel Gerlof plötzlich ein. »Fridolf … hast du mal
von einem Bekannten Martins gehört, der so heißt?«
John schüttelte den Kopf.
»Fridolf?«, wiederholte er. »Wie dieser Pantoffelheld in der
Radioserie Der kleine Fridolf?«
»Ja. Vielleicht auch Fritiof, Fridolf oder Fritiof.«
»Nicht, dass ich wüsste, ist es wichtig?«
»Nein. Glaube ich nicht.«
Gerlof blieb nachdenklich neben John stehen, als zwei Jugendliche in schwarzen Steppjacken an ihnen vorbeigingen
und mit einem Sprung in den Bus hüpften, ohne die alten
Männer eines Blickes zu würdigen.
Gerlof begriff, dass es keinen Unterschied machte, ob er gerade einen Mörder gestellt hatte oder nicht. Das veränderte
gar nichts. Das Leben nahm seinen gewohnten Lauf, und
Öland war und blieb Provinz.
Er war deprimiert. Vielleicht hatte er ja eine Endlife-Crisis!
»Ich danke dir, John«, sagte er. »Ich rufe dich an, wenn ich
zu Hause angekommen bin.«
»Tu das.«
John nickte und hielt Gerlofs Stock, während dieser sich
langsam die Stufen in den Bus hinaufquälte. Er nahm seinen
Stock, zahlte die Fahrkarte und wählte einen Fensterplatz.
Durch die Scheibe sah er John zum Auto gehen und einsteigen.
Gerlof lehnte sich zurück, schloss die Augen und hörte den
Bus beim Starten aufheulen. Gemächlich wie ein alter Frachtsegler machte er sich auf den Weg.
Fridolf oder Fritiof, überlegte er. Eine Begegnung in Ramneby, wo Ernst aufgewachsen war.
Fridolf? Fritiof?
Gerlof kannte auf ganz Öland niemanden dieses Namens.
28
N ein, ich bin nicht verheiratet«, sagte Lennart. »Und bin es
auch nie gewesen.«
»Keine Kinder?«, fragte Julia.
Lennart schüttelte den Kopf.
»Keine Kinder.« Er sah in sein halb leeres Wasserglas. »Ich
habe eine ernst zu nehmende Beziehung in meinem Leben
gehabt, die immerhin zehn Jahre gehalten hat. Aber vor fünf
Jahren haben wir uns getrennt … Sie wohnt in Kalmar, wir
sind immer noch gute Freunde.« Er lächelte Julia an. »Seitdem habe ich all meine Energie in mein Haus und den Garten gesteckt.«
»Nordöland ist nicht unbedingt der geeignetste Ort, wenn
man jemanden kennenlernen will.«
»Willst du damit sagen, es gibt hier nur eine sehr beschränkte Auswahl?«, fragte Lennart und lachte. »Ja, das ist
allerdings richtig. Das ist in Göteborg einfacher, oder?«
»Ich weiß nicht …«, antwortete Julia. »Ich habe aufgehört
zu suchen.« Sie nahm einen Schluck Wasser und fuhr fort:
»Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nur eine einzige richtige Beziehung gehabt. Und das ist noch länger her als bei
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