Öland
wartete auf eine Antwort des Totengräbers. Axelsson saß
mit rundem Rücken an einem Tisch, der von mehreren Tausend Puzzleteilen bedeckt war. Er war zur Hälfte fertig mit
Monets gelbweißen Seerosen.
Axelsson legte ein Puzzlestück an seinen Platz inmitten
des schwarzen Seerosenteiches und blickte auf.
»Kant?«, fragte er.
»Nils Kant, ja«, bestätigte Gerlof. »Das Grab liegt immer
noch fast allein am Ende der westlichen Friedhofsmauer. Und
da habe ich mir Gedanken über sein Begräbnis gemacht. Ich
habe damals ja nicht hier oben gewohnt.«
Axelsson nickte und wählte ein weiteres Puzzlestück
aus.
»Doch, ich habe das Grab ausgehoben und mit den Kollegen
vom Friedhof den Sarg getragen. Zumindest weiß ich, dass
sich für diese Arbeit keine Freiwilligen gemeldet haben.«
»Gab es keine Trauergäste?«
»Doch … Seine Mutter war da. Ich hatte sie davor noch nie
gesehen. Sie war mager, knochig, trug einen schwarzen Mantel«, erzählte Axelsson. »Aber ob man sie als Trauergast bezeichnen kann, weiß ich gar nicht. Sie sah irgendwie zufrieden aus.«
»Zufrieden?«
»Ja … Ich habe sie natürlich nicht beim Gottesdienst gesehen«, sagte Axelsson. »Aber ich erinnere mich, dass ich zu ihr
rübergeschielt habe, als wir den Sarg ins Grab senkten, und
hinter ihrem Schleier habe ich sie lächeln gesehen. Als wäre
sie richtig zufrieden mit dem Begräbnis gewesen.«
Gerlof nickte.
»Und sie war die Einzige bei der Trauerfeier? Sonst war keiner da?«
Axelsson schüttelte den Kopf.
»Es waren schon noch andere Leute da, aber das waren
keine Trauergäste. Die Polizei war da, aber die standen weiter
weg, fast am Friedhofstor.«
»Sie wollten sehen, dass Kant ein für alle Mal unter die Erde
kommt«, sagte Gerlof.
»Ja, bestimmt.« Axelsson nickte. »Das wollten sie.«
Es wurde still. Gerlof schliff den kleinen Schiffsrumpf der
Galeasse. Schließlich sagte er:
»Was du da von Vera Kant erzählst, lässt einen ja ein wenig
über den Inhalt des Sargs nachdenken …«
Axelsson sah auf sein Puzzle und griff nach einem
neuen Teil.
»Willst du wissen, ob er vielleicht ungewöhnlich leicht zu
tragen war, Gerlof?«, sagte er. »Die Frage ist mir im Laufe der
Jahre oft gestellt worden.«
»Die Leute reden manchmal davon«, fing Gerlof an, »dass
Kants Sarg leer gewesen ist. Davon hast du doch auch gehört,
oder?«
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen, er war nicht leer«, sagte Axelsson. »Wir haben ihn zu
viert getragen, sowohl vor als auch nach dem Gottesdienst.
Und wir brauchten vier Männer, denn er war höllisch schwer.«
»Einige behaupten, dass in dem Sarg vielleicht Steine gelegen haben oder Sandsäcke.«
»Ich habe von den Gerüchten gehört«, sagte Axelsson. »Ich
selbst habe auch nicht in den Sarg geschaut, aber jemand hat
es ja wohl vorher gemacht, als er auf Öland ankam.«
»Ich habe gehört, dass ihn niemand geöffnet hat«, sagte
Gerlof. »Er war versiegelt, und keiner hatte die Nerven oder
die Befugnis, ihn aufzubrechen. Weißt du, ob ihn tatsächlich
jemand geöffnet hat?«
»Nee …«, entgegnete Axelsson. »Ich erinnere mich nur vage,
dass es eine Art Totenschein aus Südamerika gegeben haben
soll, als der Sarg mit einem von Malms Schiffen ankam. Irgendjemand in der Lastwagenzentrale in Borgholm konnte
ein bisschen Spanisch und hat ihn gelesen. Nils Kant sei ertrunken, stand darauf, seine Leiche habe ziemlich lange im
Wasser gelegen, ehe er geborgen wurde. Darum sah der Leichnam wohl nicht mehr ganz so gut aus.«
»Die Leute hatten bestimmt Angst, dass ihnen Vera Kant
Schwierigkeiten macht«, sagte Gerlof. »Die wollten ihn nur
alle schnell begraben und die Sache abhaken.«
Axelsson sah Gerlof an, zuckte aber nur mit den Schultern.
»Frag mich nicht«, sagte er und platzierte ein weiteres
Puzzlestück einer Seerose an die richtige Stelle. »Ich habe nur
meine Arbeit getan und bin nach Hause gegangen.«
»Das weiß ich, Torsten.«
Axelsson fand noch ein Puzzlestück, betrachtete das Resultat und sah auf die Wanduhr. Dann erhob er sich vorsichtig.
»Bald gibt es Abendkaffee«, sagte er, aber ehe er den Raum
verließ, drehte er sich noch einmal um. »Was glaubst du, Gerlof? Liegt Nils Kant in dem Sarg?«
»Das tut er bestimmt«, sagte Gerlof leise, ohne den alten
Totengräber anzusehen.
Als Gerlof in seinen Trakt zurückkehrte, war es bereits halb
sieben, nur noch eine halbe
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