Öland
Wehrmachtssoldaten hergestellt.
Der Bootsfund weckte große Aufmerksamkeit – wie alles Ungewöhnliche, das entlang der öländischen Küste an Land getrieben
wird –, und viele Bewohner von Marnäs wussten lange vor Kant,
dass Fremde in der Gegend waren. Ein Teil von ihnen machte sich sogar auf, um nach ihnen zu suchen.
Nils Kant hatte die Männer weder begraben noch mit etwas bedeckt. Aber Leichen in der Alvar ziehen schnell Aasfresser an, deren
Schreie und Kämpfe um die Beute man von Weitem sehen und hören
konnte.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis man bei der Suche in der
Alvar auf die toten Soldaten stoßen würde.
Als die Kellnerin kam, um den Tisch abzudecken, schlug Julia
das Buch zu und blickte nachdenklich auf den menschenleeren Sandstrand unterhalb des Restaurants herab.
Die Geschichte von Nils Kant war interessant, aber er war
tot und begraben, und sie verstand nicht ganz, warum es Gerlof so wichtig war, dass sie das über Kant las.
»Ich würde gerne zahlen«, sagte Julia zur Kellnerin.
»Das macht zweiundvierzig Kronen.«
Sie war jung, vermutlich noch keine zwanzig, und sah aus,
als würde ihr die Arbeit Spaß machen.
»Haben Sie das ganze Jahr über geöffnet?«, fragte Julia, als sie
ihr das Geld gab.
Sie war überrascht, dass sich in Långvik und im Hafenhotel
so viele Leute aufhielten, obwohl schon Herbst war.
»Zwischen November und März haben wir nur am Wochenende geöffnet, für Konferenzen«, antwortete die Kellnerin.
Sie nahm das Geld und öffnete ihr Portemonnaie, um
Wechselgeld herauszuholen.
»Stimmt so«, sagte Julia, schaute auf das graue Wasser vor
dem Fenster und fuhr fort: »Wissen Sie zufällig, ob hier in
Långvik ein Mann wohnt, der Lambert heißt? Lambert und
dann ein›son‹-Nachname, Svensson oder Nilsson oder Karlsson?«
Die Kellnerin dachte nach und schüttelte den Kopf.
»Lambert?«, wiederholte sie. »An den Namen müsste man
sich ja eigentlich erinnern, aber ich glaube nicht, dass ich
ihn schon einmal gehört habe.«
Sie ist zu jung, um alle älteren Bewohner von Långvik zu
kennen, dachte Julia. Sie nickte nur und stand auf, als die
Kellnerin vorschlug:
»Fragen Sie Gunnar. Gunnar Ljunger. Ihm gehört das Hotel.
Er kennt fast alle in Långvik.«
Sie drehte sich um und hob den Arm.
»Sie gehen einfach durch den Haupteingang und dann
nach links. Dort liegt sein Büro – er müsste eigentlich da
sein.«
Julia dankte für den Tipp und verließ das Restaurant.
Julia fuhr sich mit der Hand durch die Haare und bog ums
Hotelgebäude. An der Schmalseite befand sich eine Holztür,
neben der eine Leiste mit Firmenschildern hing. Auf dem
obersten stand LÅNGVIK KONFERENZCENTER CO. Sie öffnete die Tür und betrat eine kleine Rezeption mit gelbem
Teppichboden und großen, grünen Plastiksträuchern. Im
Hintergrund spielte leise Musik. Eine junge, elegant gekleidete Frau saß hinter dem Tresen, an ihren Tisch gelehnt stand
ein junger Mann in weißem Hemd. Beide sahen Julia an, als
hätte sie bei einem sehr wichtigen Gespräch gestört, aber die
Frau riss sich schnell zusammen, lächelte und sagte Guten
Tag. Auch Julia grüßte und fragte nach Gunnar Ljunger.
»Gunnar?«, wiederholte die Frau und sah den jungen Mann
an. »Ist er schon vom Mittagessen zurück?«
»Ja, klar«, sagte der Mann und nickte Julia zu. »Kommen
Sie, ich bringe Sie hin.«
Julia folgte ihm durch einen kurzen Flur, der vor einer
angelehnten Tür endete. Er klopfte an und schob gleichzeitig
die Tür auf.
»Papa?«, sagte er. »Du hast Besuch.«
»Aha«, antwortete eine leise Männerstimme. »Kommen Sie
herein.«
Das Büro war nicht besonders groß, aber die Aussicht
durch das Panoramafenster auf den Strand und die Ostsee
war sensationell. Hinter einem Schreibtisch saß ein großer
Mann mit grauem Bart und buschigen, grauen Augenbrauen
unddrückte die Tasten einer ratternden Rechenmaschine. Er
trug ein weißes Hemd und Hosenträger, sein braunes Jackett
hing über der Rückenlehne seines Stuhls. Auf dem Tisch neben der Rechenmaschine lag die aufgeschlagene Ölands-Posten, und Gunnar Ljunger schien seinen Blick immer wieder
über die Zeilen schweifen zu lassen, während er seine Buchhaltung machte.
»Guten Tag«, sagte er und sah Julia an. »Womit kann ich
Ihnen helfen?«
»Ich habe nur eine Frage«, sagte Julia und trat einen Schritt
vor. »Ich suche einen gewissen
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