Öland
der Alvar überall sehr dünn. Nils
kratzt die Erde beiseite, um das Loch zu vergrößern, hackt
und gräbt und sieht sich immer wieder um. Er nimmt das
Etui, legt es vorsichtig auf den Boden des Lochs, bedeckt es
mit ein paar flachen Steinen, errichtet eine Art Gewölbe darüber. Anschließend füllt er den Rest mit Erde und klopft sie
mit den Handflächen fest.
Am längsten dauert es, die kleinen Grassoden exakt zu
platzieren – es ist wichtig, dass der Boden am Opferhügel aussieht, wie er immer ausgesehen hat.
Es dauert eine gute Stunde, aber dann steht er auf und
betrachtet die Stelle von allen Seiten. Der Boden sieht unberührt aus, aber seine Hände sind schmutzig, als er den Rucksack aufhebt.
Er macht sich wieder auf den Heimweg.
Er wird seiner Mutter von der Begegnung mit den Deutschen erzählen, aber er wird es behutsam tun, damit sie keine
Angst bekommt. Er wird nichts von den versteckten Edelsteinen erzählen. Noch nicht, das soll später eine Überraschung für sie werden. Im Moment ist die Kriegsbeute ein versteckter
Schatz, von dem nur er weiß.
Schließlich klettert er über eine Steinmauer und ist wieder
auf der Landstraße, aber näher an Stenvik als bei seiner Begegnung mit Maja. Er hat fast den Ortseingang erreicht.
Kurz bevor er zu Hause ankommt, begegnen ihm, vom
Meer kommend, zwei Männer in dicken Stiefeln und gehen
mit schweren Schritten an ihm vorbei. Es sind Aalfischer, die
eine frisch geteerte Reuse tragen.
Keiner von ihnen grüßt, sie schauen weg, als sie aneinander vorbeigehen. Nils kann sich nicht erinnern, wie sie heißen, aber es spielt auch keine Rolle.
Nils Kant ist größer als sie, er ist größer als ganz Stenvik.
Heute hat er es bewiesen, bei dem Kampf in der Alvar.
Es ist schon fast Abend. Er öffnet das Tor zu seinem Haus,durchquert den stillen Garten und geht den gepflasterten
Weg mit langen, stolzen Schritten hinauf. Der menschenleere Garten wächst und gedeiht. Das Gras duftet.
Alles sieht noch so aus wie heute früh, als er losging, um
Hasen zu jagen – aber Nils ist jetzt ein neuer Mensch.
12
L ennart Henriksson stand an Gerlofs Schreibtisch und wog
die Plastiktüte mit der kleinen Sandale in der Hand, als
könnte ihr Gewicht beweisen, ob sie echt war oder nicht. Der
neue Fund schien ihn nicht zu erfreuen.
»So was musst du der Polizei erzählen, Gerlof«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Gerlof.
»Über so was musst du umgehend Bericht erstatten!«
»Ja, ja«, sagte Gerlof leise. »Es hat sich einfach nicht ergeben. Aber was sagst du dazu?«
»Dazu?« Der Polizist betrachtete die Sandale. »Ich weiß
nicht, ich ziehe nicht gern voreilige Schlüsse. Was denkst
du?«
»Ich glaube, dass ihr damals lieber woanders hättet suchen
sollen als am Wasser«, sagte Gerlof.
»Das haben wir doch, Gerlof«, entgegnete ihm Lennart. »Erinnerst du dich nicht? Wir haben im Steinbruch, in allen
Häusern, Bootshäusern und Hütten von Stenvik gesucht, ich
bin selbst mit dem Auto kreuz und quer durch die Alvar gefahren. Aber wir haben nichts gefunden. Aber wenn Julia
meint, dass es der richtige Schuh ist, müssen wir die Sache
ernst nehmen.«
»Ich glaube, dass es Jens’ Sandale ist«, betonte Julia vorsichtig.
»Und du hast sie mit der Post bekommen?«, fragte Lennart.
Gerlof nickte, hatte jedoch das unangenehme Gefühl, soeben in ein Polizeiverhör geraten zu sein.
»Wann?«
»Letzte Woche«, antwortete Gerlof. »Ich habe dann gleich
Julia angerufen und es ihr erzählt. Darum ist sie unter anderem gekommen.«
»Hast du den Umschlag noch?«, fragte Lennart.
»Nein«, log Gerlof. »Ich habe ihn weggeworfen … ich bin ein
bisschen zerstreut in letzter Zeit. Aber es lag kein Brief darin,
und es gab auch keinen Absender, das weiß ich genau. Ich
glaube, da stand nur ›Kapitän Gerlof Davidsson, Stenvik‹, und
dann hat das Postamt es hierher weitergeleitet. Aber der Umschlag ist doch nicht so wichtig, oder?«
»Man nennt es Fingerabdrücke«, sagte Lennart leise und
seufzte. »Außerdem könnte man eventuell Reste von Haaren
oder anderem finden, um … Ach, was soll’s, ich nehme jetzt
erst mal die Sandale mit. Vielleicht sind darauf noch Spuren
zu finden.«
»Ich würde sie lieber …«, setzte Gerlof an, aber Julia unterbrach ihn und fragte:
»Werden Sie den Schuh in ein Labor schicken?«
»Ja«, antwortete Lennart. »Es gibt ein rechtsmedizinisches
Labor in Linköping, das
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