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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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langsam Zeit«, stammelt er.
    Sie nickt, ohne sich umzudrehen. Der Rucksack und sein
     kleiner Koffer stehen fertig gepackt auf dem Tisch, Nils
     nimmt beides. Es ist kaum auszuhalten; wenn er jetzt etwas
     zu sagen versucht, wird seine Stimme vor Kummer ganz belegt sein – darum geht er ohne ein Wort.
    »Du wirst zurückkommen, Nils«, sagt seine Mutter hinter
     ihm mit heiserer Stimme.
    Er nickt, was sie nicht sehen kann, undholt sich seine blaueKappe von der Garderobe an der Tür. In der Kappe hat er seinen Flachmann versteckt, der mit Cognac gefüllt ist. Er stopft
     sie in den Rucksack.
    »Ich muss los«, sagt er leise.
    Die Brieftasche mit seinem Reisegeld liegt im Rucksack; seine Mutter hat ihm zusätzlich zwanzig Geldscheine gegeben,
     die, zu einer festen Rolle gedreht, in der Hosentasche stecken.
    In der Tür dreht er sich noch einmal um. Doch seine Mutter sieht ihn nicht an. Vielleicht bringt sie es nicht übers Herz.
     Sie hat ihre Hände vor dem Bauch zu Fäusten geballt, ihre
     langen weißen Nägel graben sich tief in die Handflächen, die
     zusammengepressten Lippen beben.
    »Ich liebe dich, Mutter«, sagt Nils. »Ich komme zurück.«
    Dann geht er schnell die Steintreppe hinunter und verlässt
     den Garten. Er macht nur kurz am Holzschuppen halt, um
     sein Gewehr zu holen, ehe er hinter den Eschen im Garten
     verschwindet.
    Nils weiß, wie man das Dorf verlassen kann, ohne gesehen
     zu werden. Geduckt läuft er die Trampelpfade neben den
     Feldern entlang, durch das Gestrüpp abseits der Landstraße,
     klettert über flechtenbewachsene Steinmauern und bleibt
     zwischendurch stehen und horcht, ob er hinter dem Summen der Insekten flüsternde Stimmen hört.
    Er steht im Südosten des Dorfs im Sonnenschein auf der
     Alvar, niemand hat ihn gesehen.
    Hier draußen ist die Gefahr gebannt; Nils kennt sich hier
     besser aus als irgendjemand sonst und bewegt sich schnell
     und leichtfüßig über das Steppengras. Er kann jeden entdecken, ehe er selbst gesehen wird, geht der Sonne entgegen
     und schlägt einen großen Bogen um den Ort, an dem er den
     beiden Deutschen begegnet ist. Er will nicht sehen, ob die
     Leichen dort noch liegen oder bereits weggeschafft worden
     sind. Er will nicht an sie denken, denn sie sind es, die ihn
     jetzt zwingen, seine Mutter zu verlassen.
    Die toten Soldaten zwingen ihn zur Flucht, für eine Weile
     jedenfalls.
    » Du musst untertauchen«, hat seine Mutter am Abend zuvor
     gesagt. » Du wirst von Marnäs nach Borgholm fahren, dann setzt du
     mit dem Sveaboot nach Småland über. Onkel August erwartet dich
     in Kalmar, und du tust genau, was er sagt – und vergiss nicht, deine
     Mütze abzunehmen, wenn du ihm Danke sagst. Du wirst mit niemand anderem sprechen und erst nach Öland zurückkehren, wenn
     sich hier alles ein bisschen beruhigt hat. Aber das wird es, Nils, wir
     müssen nur warten.«
    Plötzlich glaubt er, ein gedämpftes Rufen hinter sich gehört zu haben, und bleibt stehen. Aber da ist nichts. Nils
     bahnt sich jetzt noch vorsichtiger seinen Weg zwischen den
     Wacholderbüschen hindurch, aber er darf auch nicht zu
     langsam werden. Der Zug wartet nicht auf ihn.
    Nach ein paar Kilometern erreicht er die kiesbedeckte
     Landstraße. Ein Fuhrwerk nähert sich von Süden, weshalb er
     schnell die Straße überquert und im Dickicht untertaucht.
     Aber der Karren wird von einem einzigen Pferd mit hängendem Kopf gezogen, und Nils ist längst verschwunden, als es
     an der Stelle vorbeikommt.
    Er befindet sich jetzt etwa in der Mitte der Insel und muss
     daran denken, was er in der Zeitung gelesen hat: Auf diesem
     Weg sollen sich die deutschen Soldaten auf die Insel geschlichen haben, nachdem ihr Boot mit Motorschaden südlich
     von Marnäs an Land getrieben worden ist.
    Er will nicht an sie denken, aber für einen kurzen Augenblick erinnert er sich an das Blechetui mit den Edelsteinen, das er den Soldaten abgenommen und beim Opferhügel vergraben hat. In den letzten Tagen, die Nils und seine
     Mutter vornehmlich im Haus verbracht haben, ist er einige
     Male kurz davor gewesen, ihr alles über seine Kriegsbeute
     zu erzählen, aber irgendetwas hat ihn schweigen lassen. Er
     wird es ihr erzählen, er wird die Steine ausgraben und seinerMutter zeigen, aber erst, wenn er wieder nach Hause
     kommt.
    Nach weiteren zwanzig Minuten liegt der Bahndamm vor
     ihm. Es sind die Gleise der Schmalspurbahn zwischen Boda
     und Borgholm, denen er nach Norden bis zum Bahnhof von
    

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