Öland
gleitet an Nils’ Fenster vorbei. Er meint den
Duft von Pfannkuchen durch die Scheibe riechen zu können;
seine Mutter hat ihm gestern Abend zum Abschied leckere
Pfannkuchen mit Puderzucker gemacht.
Nils sieht den Kommissar an.
»Über die Alvar gibt es nichts zu sagen«, erklärt er.
»Das finde ich schon.« Der Kommissar holt ein Taschentuch aus seiner Jacke. »Ich finde, da gibt es einiges zu sagen,
Nils, und viele reden mit mir auch über sie. Die Wahrheit
kommt immer ans Licht.«
Der Polizist sieht ihn unverwandt an und wischt sich dabei
den Schweiß vom Gesicht. Dann lehnt er sich vor.
»Mehrere Personen aus Stenvik haben sich in den letzten
Tagen bei uns gemeldet und gesagt, wenn wir wissen wollen,
wer in der Alvar mit einer Schrotflinte geschossen hat, sollen
wir mit dir reden, Nils.«
Nils sieht die zwei Soldaten auf der Alvar liegen, sieht ihre
erstarrten Blicke.
»Nein«, sagt Nils und schüttelt den Kopf.
In seinen Ohren rauscht es. Der Zug bremst.
»Bist du den Ausländern in der Alvar begegnet, Nils?«,
fragt der Kommissar und steckt das Taschentuch wieder
ein.
Der Zug hält mit einem kleinen Ruck, bleibt nur etwa eine
halbe Minute stehen und rollt dann weiter.
»Das bist du doch, oder?«
Der Kommissar lässt ihn nicht aus den Augen und wartet
auf eine Antwort. Sein beharrlicher Blick brennt in Nils’ Gesicht.
»Wir haben die Leichen gefunden, Nils«, fährt er fort. »Hast
du die Soldaten erschossen?«
»Ich habe nichts getan«, antwortet Nils leise und tastet mit
den Fingern nach der Öffnung des Rucksacks.
»Was hast du gesagt?«, fragt der Kommissar. »Was hast du
denn da?«
Nils antwortet nicht.
Die Schienen rattern wieder, die Lokomotive pfeift, seine
Finger zittern und graben sich immer tiefer in den Rucksack,
der mit der Öffnung zu ihm umkippt. Seine rechte Hand
wühlt in den Kleidern und Habseligkeiten.
Der Kommissar steht auf, vielleicht hat auch er begriffen,
dass etwas nicht stimmt.
Die Lok pfeift erneut.
»Nils, was hast du …«
Nils’ Finger krallen sich um den Griff des abgesägten Gewehrs im Rucksack. Er drückt ab, und der Rückschlag des
Gewehrs schleudert ihn in den Sitz.
Der erste Schuss zerfetzt den Boden des Rucksacks, und die
Schrotsalve durchlöchert den Sitz neben dem Kommissar.
Holzsplitter fliegen bis an die Decke des Waggons.
Der Kommissar zuckt bei dem Schuss zusammen, versucht
aber nicht in Deckung zu gehen. Er kann nirgendwo hin.
Nils hebt den kaputten Rucksack etwas an und drückt erneut ab, ohne genau zu zielen. Der Rucksack wird in tausend
Stücke gerissen.
Der zweite Schuss trifft den Kommissar. Sein Körper wird
so fest gegen die Rückenlehne geschleudert, dass es knackt,
er fällt zur Seite, rollt mit dem Rücken über den durchlöcherten Sitz und fällt hart auf den Boden des Waggons.
Die Schienen rattern, der Zug fährt über die Alvar.
Der Kommissar liegt auf dem Boden zu Nils’ Füßen, seine
Arme zucken noch ein wenig. Nils hat das Gewehr fest im
Griff, lässt aber den zerfetzten Rucksack fallen und steht unschlüssig auf.
»Du nimmst den Zug nach Borgholm«, hört er die Stimme
seiner Mutter sagen.
Ihr Plan ist durchkreuzt worden.
Nils starrt aus dem Fenster und sieht die Landschaft vorbeifliegen.
Die Alvar ist noch da, die Sonne auch.
Er leert den zerrissenen Rucksack aus, und seine nach Pulver stinkenden Kleidungsstücke fallen heraus: Socken, Hosen, ein Wollpullover. Aber die Tüte mit Karamellbonbons, die
ganz unten im Rucksack lag, die Brieftasche und der Flachmannmit dem Cognac sind heil geblieben. Er öffnet den
Flachmann, nimmteinen Schluck warmen Cognac und steckt
ihn sich in die Hosentasche. Das hat gutgetan.
Geld, Pullover, Flachmann, Gewehr und Bonbons. Mehr
kann er nicht mitnehmen. Den Koffer muss er auch zurücklassen.
Nils klettert über den regungslosen Körper des Kommissars, öffnet die Tür und gelangt in den Höllenlärm zwischen
den Waggons.
Der Zug rollt durch die Alvar. Der Fahrtwind zerrt an ihm,
er blinzelt in den starken Luftstrom. Durch ein Fenster sieht
er in den Waggon vor ihm, ein Mann mit schwarzem Hut
sitzt mit dem Rücken zu ihm und pendelt im Rhythmus der
Zugbewegungen. Der Schuss aus der Schrotflinte ist durch
die Kleidungsstücke gedämpft worden – die Lokomotive rattert weiter, niemand scheint etwas gehört zu haben.
Nils öffnet die Tür an der Seite des Zugs, atmet den Duft
der Kräuter in der
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