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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Alvar ein und sieht auf den Schotter des
     Bahndamms herab, der unter ihm vorbeisaust wie ein hellgrauer Fluss. Er klettert auf die unterste Stufe, sieht, dass der
     Damm frei ist, und springt.
    Er versucht hochzuspringen, um mit geraden Beinen auf
     dem Boden zu landen, aber der Aufprall ist trotzdem härter
     als erwartet. Die Räder des Zugs rattern, die Welt um ihn
     dreht sich. Er wird zu Boden geworfen, bekommt einen harten Schlag gegen die Stirn, macht sich ganz steif aus Angst,
     vom Zug zermalmt zu werden. Aber er prallt vom Bahndamm ab.
    Er sieht den Zug davonfahren, sieht den letzten Wagen
     immer kleiner werden.
    Der Zug verschwindet am Horizont. Alle Geräusche verstummen. Er hat es geschafft.
    Langsam steht er auf und sieht sich um. Er ist wieder auf
     der Alvar, das Gewehr noch in der Hand.
    Weit und breit kein Haus und kein Mensch.
    Nur Gras, so weit das Auge reicht, und der blaue Himmel.
    Nils ist frei.
    Ohne einen Blick zurück zu den Schienen marschiert er
     schnell in die Alvar, sein Ziel ist die Westküste der Insel.
    Nils ist frei, er wird jetzt verschwinden.
    Er ist schon verschwunden.

14
    D as war eine der Geschichten, die man sich in der Stunde der
     Schatten erzählt«, sagte Astrid leise.
    Das Licht der Sonne hatte sich vor dem Küchenfenster
     langsam zurückgezogen, geblieben war nur ein schmaler,
     dunkelroter Streifen am Horizont.
    »Und der Kommissar in dem Zug … ist gestorben?«, fragte
     Julia.
    »Er war bereits tot, als der Schaffner den Wagen erreichte
     und ihn fand«, sagte Astrid. »Der Schuss traf ihn in die Brust.«
    »War das Lennarts Vater?«
    Astrid nickte.
    »Lennart war erst acht oder neun, als es passierte, darum
     erinnert er sich bestimmt nicht so genau«, sagte sie, fügte
     aber hinzu: »Aber es hat ihn ganz sicher beeinflusst. Ich weiß,
     dass er nie darüber reden wollte, wie sein Vater ums Leben
     kam.«
    Julia sah in ihr Weinglas.
    »Jetzt verstehe ich, warum er nicht über Nils Kant sprechen
     wollte.« In ihr flammte plötzlich ein Gefühl von Verbundenheit auf. Lennart hatte einen Vater verloren, sie einen Sohn.
    »Ja«, nickte Astrid. »Und darum ist das Gerücht, dass Nils
     Kant noch lebt, doppelt belastend für ihn.«
    Julia sah sie an.
    »Wer sagt denn so was?«, fragte sie erstaunt.
    »Hast du davon noch nichts gehört?«
    »Nein. Ich habe doch Kants Grab in Marnäs gesehen«, widersprach Julia, »mit Grabstein und Jahreszahl und allem …«
    »Es gibt nicht mehr viele, die sich noch an Nils Kant erinnern, aber die es können, die alten … Einige von ihnen glauben, dass in dem Sarg, der aus dem Ausland eintraf, nur
     Steine lagen«, klärte Astrid sie auf.
    »Glaubt Gerlof das auch?«, fragte Julia.
    »Mir gegenüber hat er davon nichts erwähnt. Aber er ist ein
     alter Seebär, darum hat er diesen Geschichten bestimmt keinen Glauben geschenkt. Und dieses ganze Gerede über Nils
     Kant, das sind doch alles nur Gerüchte, Klatsch und Tratsch.
     Einige behaupten, sie hätten ihn an der Landstraße im Herbstnebel stehen sehen, bärtig und grauhaarig … wieder andere
     sagen, sie hätten ihn in der Alvar herumspazieren gesehen
     wie damals, als er jung war, oder aber, er sei im Sommer
     durch Borgholm gelaufen.« Astrid schüttelte energisch den
     Kopf. »Ich selbst habe nie auch nur den Schatten von Nils
     Kant gesehen. Er muss längst tot sein.«
    Sie nahm die Weingläser und erhob sich vom Küchentisch.
     Plötzlich spürte Julia etwas Warmes und Weiches an ihrem
     Bein und zuckte zusammen, aber es war nur Astrids Foxterrier Willy, der unter dem Tisch schnüffelte. Sie streckte ihre
     Hand aus, streichelte sein struppiges Nackenfell und betrachtete gedankenverloren den roten Streifen über dem Festland.
    »Ich wünschte, ich könnte hierbleiben«, sagte sie.
    Astrid stand an der Spüle und drehte sich zu ihr um.
    »Bleib sitzen«, sagte sie. »Du musst noch nicht gehen, es ist
     noch nicht spät. Wir können gerne noch ein bisschen plaudern.«
    Julia schüttelte den Kopf.
    »Ich meinte … ich wünschte, ich könnte in Stenvik bleiben.«
    Und das wünschte sie sich in diesem Moment tatsächlich.Vielleicht lag es am Wein, jedenfalls erinnerte sie sich auf
     einmal an all die Sommer auf der Insel. Wie das Echo einer
     wunderschönen Melodie, einer öländischen Weise, als wäre
     Stenvik ihre Heimat. Trotz der Schmerzen, die der Verlust
     ihres Sohnes ihr bereitet hatte, und trotz des mysteriösen
     Todesfalls im Steinbruch.
    »Kannst du denn

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