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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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den
     Sund zu und an Sara vorbei, ohne sie anzusehen. Und als er
     das Wasser erreicht hatte, blieb er nicht etwa stehen. Mutter
     rief ihm hinterher, aber er stürmte ins Wasser, bis die Wellen
     überihm zusammenschlugen, und er versank. Dann war er
     verschwunden.«
    Julia nickte kurz. Es war eine bizarre Geschichte – vielleicht die sonderbarste von allen, die in ihrer öländischen
     Familie erzählt wurden.
    »Ein Troll, der Selbstmord begeht«, fasste sie zusammen.
     »So was sieht man nicht alle Tage.«
    »Natürlich ist das nicht wirklich passiert«, fuhr Gerlof fort.
    »Aber ich glaube die Geschichte. Ich glaube, dass Mutter einen
     Troll gesehen hat, oder zumindest eine Art Naturkraft oder
     Erscheinung, die sie als Troll gedeutet hat. Gleichzeitig weiß
     ich, dass es keine Trolle gibt.«
    »Zumindest bekommt man sie nicht oft zu Gesicht«,
     grinste Julia.
    »Nein«, sagte Gerlof langsam, »und so ist es wohl auch mit
     Nils Kant. Keiner spricht über ihn, keiner sieht ihn. Bei der
     Polizei ist er als verstorben registriert, er liegt auf dem Friedhof in Marnäs und hat einen Grabstein, den sich jeder ansehen kann. Trotzdem gibt es auf Nordöland Leute, die davon
     überzeugt sind, dass er noch lebt. Zumindest unter denen,
     die alt genug sind, um sich noch an ihn zu erinnern.«
    »Und was glaubst du?«, fragte Julia.
    »Ich glaube, es wäre an der Zeit, Ordnung in diese Ungereimtheiten zu bringen«, verkündigte Gerlof.
    »Ich will lieber meinen Sohn finden«, flüsterte Julia. »Darum bin ich schließlich hergekommen.«
    »Ich weiß, aber die Geschichten gehören vielleicht zusammen«, sagte Gerlof.
    »Nils Kant und Jens?«
    Gerlof nickte.
    »Ich weiß jetzt schon, dass sie es zum Teil tun. Martin Malm
     ist die Verbindung.«
    »Wie denn?«
    »Er hat mir die Sandale geschickt«, erklärte Gerlof. »Und
     einesvon Malms Schiffen hat den Sarg mit Nils Kant nach
     Schweden gebracht.«
    »Stimmt das? Woher weißt du das?«
    »Das ist kein Geheimnis«, sagte Gerlof. »Ich war damals
     sogar im Hafen, als das Schiff mit dem Sarg ankam. Ein Bestattungsinstitut aus Marnäs hat sich um alle Formalitäten
     gekümmert.«
    Julia dachte darüber nach, während sie sich der Abfahrt
     nach Marnäs näherten. Sie bremste und bog ab.
    »Aber mit dem Absender der Sandale konnten wir heute
     leider nicht sprechen«, sagte sie dann.
    »Nein, aber du konntest dir sein Haus ansehen«, tröstete
     Gerlof sie. »Martin ging es heute nicht gut, aber früher oder
     später werden wir mit ihm reden. Nächste Woche vielleicht.«
    »Ich kann nicht so lange bleiben, nur um darauf zu warten«, sagte Julia kurz angebunden. »Ich muss nach Göteborg.«
    »Das entscheidest du.« Gerlof hob abwehrend die Hände.
     »Wann fährst du denn?«
    »Ich weiß noch nicht. Bald … Vielleicht schon morgen.«
    »Morgen ist doch die Beerdigung von Ernst«, sagte Gerlof.
    »Um elf.«
    »Ich weiß nicht, ob ich da hingehe«, erwiderte Julia und
     fuhr auf den Vorplatz des Altersheimes. »Ich kannte Ernst
     doch gar nicht. Es ist tragisch, dass er tot ist, und ich werde
     den Morgen am Steinbruch niemals vergessen, aber ich kannte ihn nicht.«
    »Versuch doch bitte trotzdem zu kommen«, bat Gerlof und
     öffnete seine Tür.
    Julia sprang heraus, um ihm zu helfen. Sie trug die Tüte
     mit den Flaschen und seine Aktentasche.
    »Danke«, sagte Gerlof und stützte sich auf seinen Stock.
     »Meinen Beinen geht es jetzt viel besser.«
    »Wir sehen uns«, sagte Julia, nachdem sie ihn bis zum Fahrstuhl begleitet hatte. »Vielen Dank für den Ausflug.«
    Sie setzte sich wieder in den Wagen, wartete aber, bis sich
     die Fahrstuhltür hinter ihm schloss.
    Erst danach fuhr sie los.
    Die Dämmerung begann, es war zwanzig nach vier. Normale, arbeitende Menschen machten sich um diese Uhrzeit
     auf den Heimweg.
    Aber manche waren noch nicht nach Hause gegangen. Als
     sie an der kleinen Polizeiwache vorbeifuhr, sah sie noch Licht.
    Julia hielt beim Supermarkt und kaufte Milch, Brot und
     ein bisschen Aufschnitt. Sie hatte nur noch ein paar hundert
     Kronen auf dem Konto, und es dauerte noch eine ganze Woche, bis die nächste Zahlung von der Krankenkasse kam. Am
     besten dachte sie nicht daran.
    Als sie den Supermarkt verließ, brannte in der Polizeiwache noch immer Licht. Sie dachte an Lennart Henriksson und
     daran, was Astrid ihr erzählt hatte. Auch Lennarts Leben war
     von einer großen Tragödie überschattet worden.
    Julia blieb stehen und betrachtete die

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