Offene Rechnungen
aber im Moment auch nicht tun«, versprach Simon.
Er verstand das Anliegen der beiden Frauen nicht nur aus medizinischer Sicht, vielmehr sorgte er sich sehr um die zarte Verfassung der Witwe. Simon wusste aber auch, dass er solchen Gefühlen auf keinen Fall zu viel Raum geben durfte.
Seufzend stieg die Oberkommissarin aus dem Wagen und ging zur Haustür. Kurz nachdem Esther auf den Klingelknopf gedrückt hatte, erschien der Schatten von Ariane Wiese. Mit rot geränderten Augen öffnete die Witwe von Ralph die Tür, schaute Esther und Simon tieftraurig an.
»Hallo, Ariane. Ich habe Dr. Wagenknecht verständigt. Sie ist auf dem Weg hierher.«
»Danke, Esther. Hallo Dr. Vester, schön Sie zu sehen. Kommt doch rein.«
*
Frank Reuter stand neben dem Esstisch im Wohnzimmer und betrachtete die beiden brünetten Frauen. Im Vergleich war Ariane Wiese die wesentlich zierlichere Frau. Nahm man noch die großen, dunkelbraunen Augen hinzu, entstand das Bild der typisch schutzbedürftigen Frau. So wirkte dieser Typ Frau wenigstens auf die meisten Männer. Ab und an bemerkten die Männer erst zu spät, wie sehr dieser Eindruck sie getäuscht hatte. Vielleicht auch Ralph Wiese?
»Ich bedaure, dass wir erneut in der Wunde herumstochern müssen, Frau Wiese. Können Sie mir bitte erzählen, wie der Tag aus Ihrer Sicht verlaufen ist, an dem Ihr Mann im Zentrum zu Tode kam?«
Ariane schaute Reuter eine Weile schweigend an und Frank wollte die Frage schon neu stellen, als sie unvermittelt zu reden begann. Mit leiser Stimme berichtete sie von einem normalen Tag, einschließlich einer Therapiestunde bei Juliane Wagenknecht. Am frühen Nachmittag kam sie wie üblich nach Hause und telefonierte mit ihrem Mann, der noch im Dienst war. Laut ihrer Aussage verhielt Ralph sich völlig normal und erzählte seiner Frau auch von keinen außergewöhnlichen Vorkommnissen. Frank ließ Ariane ohne Unterbrechung berichten, was ihm einen staunenden Seitenblick der Oberkommissarin einbrachte. Erst, als die Frau über ihren Fernsehabend berichten wollte, hob Frank eine Hand.
»Einen Moment bitte, Frau Wiese. Sie haben gesagt, der Tag sei völlig normal verlaufen und auch auf Seiten Ihres Mannes sollten sich keine besonderen Ereignisse eingestellt haben. Habe ich Sie soweit richtig verstanden?«
Gespannt verfolgte Frank, wie sich das Mienenspiel der zierlichen Frau veränderte. Sie sah ihn forschend an, nickte schließlich zögernd. Offenbar spürte Ariane, dass etwas Unerwartetes auf sie zukam. Auch Esther sah ihren Kollegen voller Erwartung an.
»Nun, dann habe ich ein Verständnisproblem. Wieso haben Sie zu keiner Zeit Ihren Mann vermisst? War es üblich, dass er ohne Begründung eine Nacht fernblieb? Gab es Probleme in Ihrer Ehe?«
Die Fragen trafen die Frau des ermordeten Hauptkommissars wie Schläge. Esther hatte ihren Blick von Reuter genommen und starrte fassungslos auf Ariane, während der Arzt schützend neben die Frau getreten war. Erneut wallte Unmut in der Oberkommissarin über das brutale Vorgehen ihres Kieler Kollegen auf, nur mühsam konnte sie einen Protest unterdrücken. Denn mitten in diese Aufwallung blitzte die Erkenntnis auf, wie Recht ihre Kollegen mit seiner Verwunderung über das Verhalten hatte.
»Stimmt, Ariane. Du hast weder in der Inspektion angerufen, noch bei mir nachgefragt. Wieso?«
Frank nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass Esther endlich ihren kriminalistischen Spürsinn wieder gefunden hatte. Bevor die zierliche Brünette zu einer Antwort ansetzen konnte, läutete es an der Haustür. Ariane wollte sich abwenden, um den Besucher ins Haus zu lassen.
»Das wird sicherlich Dr. Wagenknecht sein, Frau Wiese. Frau Helmholtz? Wären Sie so nett?«
Die Oberkommissarin schob sich an Ariane vorbei, was diese mit einem verärgerten Stirnrunzeln aufnahm.
»Soll ich die Fragen noch einmal wiederholen, Frau Wiese? Denken Sie bitte an die Belehrung. Alle Aussagen müssen der Wahrheit entsprechen oder Sie müssen vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen«, lenkte Frank die Aufmerksamkeit der Frau wieder auf sich.
Ariane Wiese wandte sich um, sah ihn mit einem schwer zu definierendem Ausdruck in den großen Augen an. Aus seiner Erfahrung wusste Frank, dass ihm gleich eine Lüge serviert werden würde. Zu oft hatte er diesen Ausdruck in diversen Vernehmungen sehen müssen.
»Nein, Herr Hauptkommissar! Unsere Ehe war intakt und ich habe meinen Mann auf seinem Handy angerufen. Da nur die Mailbox anging, habe ich ihm darauf
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